Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Schöpfer war nicht damit einverstanden. Rasch und sicher hatte Er die Strafe in Gestalt eines himmlischen Flohs geschickt. Sollte das etwa bedeuten, daß Er grundsätzlich gegen dieses Kleid war? Hielt Er ihre Wünsche für etwas so Närrisches und in ihrer Stellung Unschickliches, daß Er diesen Weg gewählt hatte, um ihr Seine Mißbilligung auszudrücken?
Hin und her gerissen von diesem neuen Problem machte sie sich zerstreut und übellaunig an die Arbeit, und ihr Begehren nach dem Kleid wurde natürlich, gerade weil ihr Präzeptor gegen diese Idee zu sein schien, nur tun so größer. Sie war von der Art, die sich notfalls sogar gegen ihren Schöpfer aufzulehnen vermochte, obwohl sie natürlich nie und nimmer glaubte, daß man sich Ihm gegenüber durchsetzen könne. Er war allmächtig und Seine Entscheidungen endgültig, doch das hieß keineswegs, daß Mrs. Harris sie gut finden oder sie ergeben hinnehmen mußte.
Als sie in der folgenden Woche eines Abends von der Arbeit zurückkehrte, wurden ihre wegen des Kummers, der sie bedrückte, niedergeschlagenen Augen von einem Glitzern in der Gosse gefangen; es sah aus, als spiegele ein Stück Glas das Laternenlicht wider. Doch als sie sich bückte, war es keineswegs eine Glasscherbe, sondern ein Brillant-Clip, und zwar, wie sie an der Platineinfassung und der Größe der Steine erkannte, einer von beträchtlichem Wert.
Diesmal hatte sie es weder mit Ahnungen noch mit Botschaften zu tun. Der Gedanke, daß dieses Schmuckstück vielleicht den zehnfachen Wert des ersehnten Kleides darstellen könne, kam ihr überhaupt nicht in den Sinn. Und sie wäre nicht Mrs. Harris gewesen, wenn sie nicht getan hätte, was sie tun mußte: sie lenkte den Weg zur nächsten Polizeiwache und lieferte den Gegenstand ab, hinterließ Namen und Adresse sowie eine Beschreibung, wo und wie sie den Gegenstand gefunden hatte. Kaum eine Woche später wurde sie wieder in die Polizeiwache bestellt, wo man ihr fünfundzwanzig Pfund als Belohnung von der dankbaren Eigentümerin des verlorenen Clips aushändigte.
Und damit war aller Druck von Mrs. Harris’ Seele genommen, denn der strenge himmlische Richter hatte die Perücke abgesetzt und sie sich als Weihnachtsmannbart umgehängt. Mrs. Harris vermochte sowohl das, was ihr zugestoßen war, wie die göttlichen Absichten wieder zu verstehen. Er hatte ihr die Hälfte des Geldes zurückgegeben, um ihr zu zeigen, daß Er ihr nicht mehr böse war und daß sie, wenn sie nur gläubig und beständig ausharrte, schließlich ihr Kleid bekommen werde — sie solle jedoch nicht mehr spielen; dafür sprachen die fehlenden fünfundzwanzig Pfund. Das Kleid mußte mit Arbeit, Schweiß und Selbstverleugnung verdient werden. Und in der Freude, die sie jetzt erfüllte, war sie bereit, das alles zu geben.
Fünftes Kapitel
Ohne sich eigentlich selber darum zu bemühen — Mrs. Harris war nämlich überzeugt, wenn man die Dinge allzu genau untersuchte, konnte es einem passieren, daß man allzuviel erfuhr — , hatte die kleine Reinmachefrau zwei Informationen erhalten, die mit der Erfüllung ihres Wunsches in Verbindung standen. Es gab in Großbritannien einschränkende Valutabestimmungen, die es verboten, mehr als zehn Pfund auszuführen, und deshalb nahm kein französisches Geschäft große .Beträge in britischer Währung an, sondern verlangte die Zahlung in anderer Valuta. Es hätte Mrs. Harris also nichts genützt, vierhundertfünfzig Pfund zu schmuggeln — sie hätte es auch niemals getan.
Denn ihre Moralmaßstäbe waren sowohl streng wie auch zweckmäßig. Sie flunkerte wohl manchmal, doch sie log nicht. Sie hätte nie das Gesetz gebrochen, aber sie hatte nichts dagegen, es zu beugen, soweit es nur ging. Sie war unbedingt ehrlich, doch alles andere als eine einfältige Närrin.
Da es ebenso verboten wie nutzlos war, Pfundnoten in großen Mengen mit nach Paris zu nehmen, bedurfte sie eines andern Tauschmittels und verfiel auf Dollar. Und wenn es um Dollar ging, konnte sie sich nur an einen Menschen wenden: an die freundliche, gutmütige und nicht allzu kluge Amerikanerin, Mrs. Schreiber.
Passenderweise erfand Mrs. Harris also einen Neffen in Amerika, der anscheinend aus Veranlagung mittellos war, eine Art Halbidiot, unfähig, sich selber zu erhalten, und dem sie nach dem Motto Geld zu schicken gezwungen war. Sie verlieh ihm den Namen Albert und verlegte seinen Wohnsitz nach Chattanooga, einen Ort, den sie in der Amerikaspalte des
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