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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Express aufgelesen hatte. Oft führte sie lange Gespräche mit Mrs. Schreiber über diesen hilflosen Verwandten. «Ein guter Junge, der Sohn meiner armen, verstorbenen Schwester, aber ein bißchen schwach im Kopf... das war er schon immer.»
    Mrs. Schreiber, die — wenigstens was die britischen Währungsgesetze anlangte — selber ein bißchen dumm war, sah nicht ein, weshalb sie einer so gutherzigen Frau wie Mrs. Harris nicht beistehen sollte, und da sie reich und ihr Dollarnachschub nahezu unerschöpflich war, verhalf sie Mrs. Harris dazu, den langsam wachsenden Pfund-Schatz in amerikanische Devisen umzutauschen. Dieses Wechselgeschäft wurde zu einer feststehenden, wöchentlich einmal durchgeführten Angelegenheit. Außerdem zahlte Mrs. Schreiber ihr den Lohn und die Trinkgelder in Dollar, und kein Mensch erfuhr das mindeste davon.
    Innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nahm langsam, aber sicher das Bündel von Fünf-, Zehn- und Zwanzigdollarnoten an Umfang zu, bis Mrs. Harris an einem kühlen Januarmorgen, als sie ihren Schatz zählte und ihr Sparbuch durchblätterte, feststellen konnte, daß sie nicht mehr allzu weit von der Verwirklichung ihres Traumes entfernt sei.
    Sie wußte genau, daß jeder, der die Britischen Inseln verlassen und ins Ausland reisen wollte, einen gültigen britischen Paß besitzen mußte. Deshalb fragte sie Major Wallace um Rat, an welche Voraussetzungen dieses Dokument geknüpft sei, und erhielt erschöpfende Auskunft, wohin, wie und an wen sie sich schriftlich wenden solle.
    «Wollen Sie denn ins Ausland?» fragte er ein wenig erstaunt und sehr beunruhigt, da er Mrs. Harris’ Dienstleistungen als unerläßlich für sein Wohlbefinden und seine Bequemlichkeit betrachtete.
    Mrs. Harris kicherte: «Wer, ich? Wo sollte ich schon hinfahren?» Hastig erfand sie einen weiteren Verwandten. «Es ist wegen meiner Nichte. Die reist nach Deutschland und heiratet da. Netter Junge, der drüben bei der Armee ist.»
    Und hier läßt sich genau erkennen, wie Mrs. Harris zwischen Flunkern und Lügen unterschied. Eine Flunkerei wie die eben genannte tat keinem weh, während eine Lüge wohlüberlegt war, um einen ungerechten Vorteil zu erringen oder sich zu schonen. Und so kam der Tag, den sie von allen Vorbereitungen am wenigsten vergessen würde, der Tag, an dem die Unterlagen vom Paßbüro eintrafen: ein ungeheures Formular, das sie ausfüllen und mit , und so weiter und so weiter wieder einreichen sollte. «Stell dir vor!» vertraute Mrs. Harris ihrer Freundin, Mrs. Butterfield, in höchster Erregung an, «ich soll mich knipsen lassen. Die Bilder werden für meinen Paß gebraucht. Ich glaube, es ist besser, wenn du mitkommst und meine Hand hältst.»
    Mrs. Harris hatte der Kamera bisher erst ein einziges Mal in die Linse geschaut, und zwar bei ihrer Heirat mit Mr. Harris, und damals hatte der starke Arm des stämmigen Klempners sie während dieser Prüfung gestützt.
    Das Bild schmückte jetzt — in einem mit Blumen bemalten Rahmen — den Tisch ihrer kleinen Wohnung. Es zeigte Mrs. Harris, wie sie vor dreißig Jahren aussah, ein winziges, dünnes Mädchen, dessen Gesichtszüge die Jugendfrische verschönte. Sie trug, wie es damals Mode war, einen Bubikopf; und die Volants ihres weißen Brautkleides erinnerten ein wenig an eine chinesische Pagode. In ihrer Haltung drückte sich bereits etwas von dem Mut und der Unabhängigkeit aus, die sie später als Witwe bewies. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich der Stolz über den Mann, den sie gekapert hatte und der nun neben ihr stand: ein nett aussehender Bursche, ziemlich klein, in einem dunklen Anzug, das Haar sorgfältig angeklebt. Wie es sich für seinen neuen Stand schickte, sah er erschrocken aus. Danach hatte sich niemand mehr die Mühe gemacht, Mrs. Harris abzubilden, und sie selber hatte nicht einmal einen Gedanken an so etwas verschwendet.
    «Wird das nicht wieder einen Haufen kosten?» In dieser Frage drückte sich Mrs. Butterfields Neigung für die dunklere Seite der Dinge aus.
    «Zehn Schilling das halbe Dutzend», berichtete Mrs. Harris. «Ich habe eine Anzeige in der Zeitung gesehen. Wenn du willst, schenk ich dir eins von den übrigen.»
    «Das ist lieb von dir, Schatz», sagte Mrs. Butterfield. Es war ihr Ernst.
    «O Gott!» Der Ausruf entrang sich Mrs. Harris, als ihr ein neuer Gedanke das Herz zerriß. «O Gott!» wiederholte sie, «wenn ich mich knipsen lassen soll, muß ich einen neuen Hut

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