Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
letzte Vorsichtsmaßnahme lieferte schließlich Ergebnisse von so erstaunlicher Vorbedeutung, daß kein Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit mehr möglich war:
In dem Gedränge vor den Zwingern, wo die Teilnehmer am vierten Rennen auf und ab geführt wurden, belauschte nämlich Mrs. Harris das Gespräch zweier sportlich aussehender Herren, die neben ihr standen.
Der erste Herr war damit beschäftigt, den kleinen Finger ins Ohr zu bohren und gleichzeitig sein Programm zu studieren. «Haute Couture, das ist der Richtige.»
Der andere Herr, der ähnliche Operationen an seiner Nase vornahm, starrte aufmerksam auf die Reihe der Hunde und sagte: «Nummer sechs. Zum Teufel, was bedeutet eigentlich Haute Couture ?»
Die Kenntnisse des ersten Herrn reichten weiter. «Es ist eine französische Hündin», erklärte er, während er nochmals sein Programm zu Rate zog, «gehört Marcel Duval. Ich weiß nicht recht... Haute Couture, hat das nicht irgend etwas mit Damenschneiderei zu tun? So was Ähnliches ist es jedenfalls.»
Mrs. Harris und Mrs. Butterfield spürten, wie ihnen ein kalter Schauer über den Rücken lief, als sie sich umwandten und einander ansahen. Da gab’s gar keine Frage, der war’s. Sie starrten auf ihre Programmzettel, und richtig, da stand der Name des Hundes, Haute Couture, daneben der des französischen Eigentümers und einiges über die bisherigen Leistungen der Hündin. Ein Blick auf die Buchmachertafel zeigte ihnen, daß die Odds für die Hündin fünf zu eins standen.
«Komm rasch!» rief Mrs. Harris und drängte sich zu den Wettschaltem. Wie ein winziger Zerstörer eskortierte sie das gewaltige Schlachtschiff Mrs. Butterfield, zerteilte das Gedränge vor sich und kam atemlos bei der Schlange der Wettenden an.
«Was willst du auf sie setzen, Mensch — fünf Scheine?» keuchte Mrs. Butterfield.
«Fünf Pfund?» wiederholte Mrs. Harris. «Nach so einer Ahnung? Fünfzig!»
Als Mrs. Butterfield diesen Betrag hörte, sah sie aus, als wolle sie ohnmächtig werden. Blässe überzog Kinn für Kinn, bis sie alle drei bedeckte. Sie zitterte vor Bewegung. «Fünfzig Scheine...», flüsterte sie, damit ja keiner etwas von dieser Narrheit höre, «fünfzig Scheine...»
«Bei fünf zu eins bringt das zweihundertfünfzig Pfund», erklärte Mrs. Harris ruhig.
Wieder wurde Mrs. Butterfield von ihrem normalen Pessimismus gepackt. «Aber wenn sie nun verliert...»
«Ausgeschlossen!» sagte Mrs. Harris unbeirrbar. «Wie sollte sie?»
Mittlerweile waren sie am Schalterfenster. Während Mrs. Butterfields Augen aus den Falten ihres Gesichts zu rollen drohten, öffnete Mrs. Harris ihre abgegriffene braune Brieftasche und zog ein Bündel Scheine heraus. «Fünfzig Lappen auf Howt Cowter», sagte sie, «Nummer sechs, auf Sieg.»
Automatisch wiederholte der Buchmacherangestellte: «Haute Couture, Nummer sechs, fünfzig Pfund auf Sieg.» Und dann stutzte er über die Höhe des Betrags und bückte sich, um durch das Gitter den großen Wetter zu betrachten. Seine Augen blickten in die strahlend blauen Perlen von Mrs. Harris, und die Erscheinung der kleinen Scheuerfrau veranlaßte ihn zu dem Ausruf «Heiliger Strohsack!», den er rasch verbesserte: «Viel Glück, Madam!» Dann schob er ihr den Zettel hin. Mrs. Harris zitterte nicht einmal die Hand, als sie ihn entgegennahm, doch Mrs. Butterfield starrte den Schein an, als ob er eine Schlange wäre, die sie beißen wolle. Die beiden Frauen kehrten zur Rennbahn zurück, um der Erfüllung des verheißenen Wunders beizuwohnen.
Die Tragödie, die sie miterlebten, war kurz und endgültig. Haute Couture führte bei der ersten Runde und lief leicht und geschmeidig, wie es sich für eine hochgezüchtete Dame gehört, doch bei der letzten Runde wurde sie plötzlich von einem unwiderstehlichen Juckreiz befallen. Sie rannte in die Mitte des Feldes, setzte sich hin und kratzte sich. Als sie erleichtert und befriedigt damit aufhörte, war das Rennen beendet — und Mrs. Harris war fertig.
Es war nicht so sehr der Verlust ihrer schwerverdienten, eisern gesparten und kostbaren fünfzig Pfund, der Mrs. Harris aus der Fassung brachte und ihren sonst so heiter sprudelnden Geist während der nächsten Tage verdüsterte, als der Beweis, daß der Polizist und Richter Gott die Führung übernommen hatte und daß Er ihr nicht wohlgesinnt war. Offenbar hatte sie Seine Absichten falsch aufgefaßt, oder vielleicht war es nur ihre eigene Idee gewesen, das Schicksal herauszufordern, und der
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