Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
zu spät kommen, Schatz», mahnte Mrs. Butterfield.
Schuldbewußt blickte Mrs. Harris zu ihrer Freundin auf.
«Ich gehe nicht mit», sagte sie.
«Du gehst nicht mit ins Kino?» staunte Mrs. Butterfield.
«Noch dazu, wo Marilyn Monroe spielt!»
«Ich kann’s nicht ändern. Ich muß sparen.»
«Donnerwetter!» sagte Mrs. Butterfield, die sich gelegentlich selbst einer Welle der Sparsamkeit hingab.
«Wozu denn bloß?»
Mrs. Harris schluckte, ehe sie sich zu einer Antwort entschloß: «Für mein Dior-Kleid.»
«Der Himmel bewahr dich, Schatz, du bist wohl verrückt? Ich denke, das Kleid kostet so um vierhundertfünfzig Lappen?«
«Hundertzwei Pfund, sieben Schilling und neuneinhalb Penny hab ich schon», erklärte Mrs. Harris. «Den Rest spare ich.»
Mrs. Butterfields Doppelkinne zitterten, als sie bewundernd den Kopf schüttelte. «Du hast wirklich Charakter!» entgegnete sie. «Ich könnte das nie. Ich will dir was sagen, mein Herz. Du kommst mit. Ich lade dich ein.»
Doch Mrs. Harris war eisern. «Ich kann nicht», erwiderte sie. «Ich kann mich nicht revanchieren.»
Mrs. Butterfield seufzte schwer und begann, sich aus ihren Hüllen zu schälen. «Also gut», sagte sie, «Marilyn Monroe macht uns auch nicht selig. Ich trinke genauso gern eine Tasse Tee und mache einen gemütlichen Schwatz. Hast du gelesen, daß Lord Paliser wieder verhaftet worden ist? Wieder dieselbe Geschichte. Ich räume doch bei seinem Neffen in der Halker-Straße auf. Wirklich ein netter Bursche, einen besseren könnte man sich gar nicht wünschen. An dem ist nichts verkehrt.»
Mrs. Harris nahm das Opfer an, das ihr die Freundin brachte, aber ihr Blick wanderte schuldbewußt zur Teebüchse. Jetzt war sie noch gefüllt, aber bald würde sie ungastlich leer sein. Denn das war einer der Posten auf ihrer Liste, den sie gestrichen hatte. Sie stellte den Kessel aufs Feuer.
So begann eine lange Zeit des Knauserns, Sparens und Entbehrens, die Mrs. Harris jedoch nicht das mindeste von ihrer guten Stimmung nahm — vielleicht mit einer Ausnahme: sie versagte sich jetzt auch den Blumentopf, den sie sich früher im Sommer gelegentlich geleistet hatte, und als ihre geliebten Geranien eines Tages vom Mehltau befallen wurden und eingingen, ersetzte sie sie nicht. Sie würde Farben genug haben, wenn sie erst ihr Kleid besaß.
Sie verzichtete auf Zigaretten — früher war das Rauchen ein Trost gewesen — und auf den Gin. Sie ging zu Fuß, statt den Bus oder die U-Bahn zu benutzen, und wenn ihre Schuhsohlen Löcher bekamen, legte sie Zeitungspapier darüber. Sie gab die geliebte Abendzeitung auf und bezog ihre Neuigkeiten und den Klatsch — einen Tag später — aus den Papierkörben ihrer Kunden. Sie knauserte mit Essen und Kleidung. Vielleicht hätte das Hungern ihr geschadet, wenn Mrs. Schreiber, die Amerikanerin, bei der sie um die Mittagszeit arbeitete, nicht so großzügig gewesen wäre und ihr immer ein Ei oder irgend etwas Kaltes aus dem Kühlschrank angeboten hätte. Das nahm sie nun an.
Doch die Kinos sahen sie nicht mehr, ebensowenig die Krone, die Kneipe an der Ecke. Sie selber verbrauchte nahezu gar keinen Tee mehr für sich, damit etwas in der Büchse blieb, wenn Mrs. Butterfield an der Reihe war, sie zu besuchen. Und sie ruinierte sich beinah die Augen mit einer schlecht bezahlten Heimarbeit: nachts nähte sie Reißverschlüsse in billige Blusen. Das einzige, was Mrs. Harris nicht aufgab, war der wöchentliche Tippschein für drei Penny im Fußballtoto; aber natürlich hatte der Blitz nicht die Absicht, zweimal an der gleichen Stelle einzuschlagen. Trotzdem hatte sie den Eindruck, sie könnte es sich nicht leisten, damit aufzuhören.
Aus zerfetzten, Monate alten Modeheften hielt sie sich auf dem laufenden über die Tätigkeit von Christian Dior — denn dies alles fand vor dem jähen und beklagenswerten Hinscheiden des berühmten Meisters statt. Dauernd stand ihr das Wissen, daß ihr eines Tages in nicht allzuferner Zukunft eine dieser einzigartigen Kreationen gehören würden, vor Augen, hielt sie aufrecht und stärkte ihre Kraft.
Und wenn Mrs. Butterfield ihre Ansichten darüber auch nicht geändert hatte, daß nichts Gutes daraus erwachsen könne, wenn man sich Dinge wünsche, die seinem Stand nicht entsprachen, und daß es Mrs. Harris noch zum Unheil ausschlagen werde, so bewunderte sie doch die Entschlossenheit und den Mut ihrer Freundin und unterstützte sie kräftig; sie half, wo sie nur konnte, und bewahrte
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