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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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die unerschrockene Tapferkeit jener Frauen erkannt hatte, die ein Leben der Not und unaufhörlichen Plackerei führten, einfach um die Pflicht ihren Angehörigen gegenüber zu erfüllen, ein Leben, das nur mit einer Prise Salz des Murrens und dem Essig der Bemerkungen über die Lumpen und Taugenichtse gewürzt wurde, die überall an der Spitze saßen. Jetzt sah er sie wieder vor sich: das rotgraue Haar strähnig im Gesicht, eine Zigarette hinterm Ohr und den ruckartig vorstoßenden Kopf, wenn sie die Fußböden scheuerte. Fast war es ihm, als höre er sie sprechen. Und da wurde ihm klar, daß er sie wirklich sprechen hörte.
    Denn neben ihm in dem exklusivsten und kultiviertesten Modesalon von Paris saß die Reinkarnation jener Madame Mop von vor einem halben Jahrhundert.
    Freilich gab es keine körperliche Ähnlichkeit, denn seine Nachbarin war dünn und schwach von der Arbeit geworden — der Blick des alten Herrn, der auf ihre Hände fiel, bestätigte diese Vermutung doch daran hatte er sie auch nicht erkannt; es war ihre Haltung, die Art zu sprechen und die frechen kleinen Augen, doch vor allem die Aura von unbezähmbarem Mut, von Unabhängigkeit und Dreistigkeit, die sie umgab.
    «Ein Dior-Kleid», wiederholte er ihre Worte, «eine großartige Idee. Wir wollen nur hoffen, daß Sie heute nachmittag hier finden, was Sie sich wünschen.»
    Wie sie es ermöglicht hatte, sich solch einen Wunsch zu erfüllen, danach brauchte er nicht erst zu fragen. Er kannte die Natur dieser besonderen Engländerinnen aus Erfahrung und nahm an, sie habe ein Legat erhalten oder plötzlich eine große Summe in dem alle Massen umfassenden Fußball-Toto gewonnen, von dem er dauernd in der Zeitung las, daß es britische Gepäckträger, Bergarbeiter oder Lebensmittelverkäufer mit unerhörten Reichtümern überschütte. Doch selbst wenn er gewußt hätte, wie Mrs. Harris wirklich zu der Summe gekommen war, die sie zur Befriedigung ihrer Sehnsucht brauchte, wäre er ebensowenig überrascht gewesen.
    Sie verstanden sich jetzt wie alte Freunde, die schon viel hinter sich hatten.
    «Einem andern würde ich das ja nie verraten», gestand Mrs. Harris in der Behaglichkeit der neuen Freundschaft, «aber ich hatte eine Todesangst, hierherzukommen.»
    Erstaunt sah der alte Herr sie an... «Sie? Angst?»
    «Naja», vertraute Mrs. Harris ihm an, «Sie kennen ja die Franzosen...»
    Der Herr seufzte auf. «Oh, ich kenne sie sehr gut. Aber nun haben Sie ja nichts anderes mehr zu tun, als sich das Kleid auszusuchen, das Ihnen am besten gefällt. Es heißt, daß die Kollektion in diesem Frühling ganz prächtig sei.»
    Im Salon gab es eine Bewegung und ein Murmeln. Eine schicke, teuer angezogene Dame, von zwei Verkäuferinnen eskortiert, kam herein und auf den Stuhl zu, auf dem Mrs. Harris’ Handtasche mit ihrem Vermögen zeitweilig abgestellt war.
    Mrs. Harris riß sie weg mit einem: «Hoppla, Liebste, ‘tschuldigungl» Dann fegte sie den Stuhlsitz mit der Hand ab, lächelte munter und sagte: «Da, nehmen Sie’n sich. Hat nur auf Sie gewartet.»
    Die Frau, die engstehende Augen und einen zu kleinen Mund hatte, setzte sich mit einem Klirren goldener Reifen, und alsbald fühlte sich Mrs. Harris eingehüllt in eine Wolke des köstlichsten und berauschendsten Parfüms. Sie beugte sich näher zu der Frau hinüber, um ihre Nase ordentlich vollzunehmen, und sagte mit aufrichtiger Bewunderung: «Himmel, Sie riechen aber gut.»
    Die eben Gekommene rückte gereizt zur Seite, und zwischen den engstehenden Augen erschien eine Falte. Sie blickte zur Tür, als suche sie jemand.
    Es mußte bald beginnen. Mrs. Harris war ungeduldig und aufgeregt wie ein Kind und redete sich im Geist folgendermaßen an:
    Doch die Frau neben ihr, Gattin eines Spekulanten, hatte gefunden, wen sie suchte: Madame Colbert, die gerade auf der Schwelle des Umkleideraums erschien; sie winkte sie heran und rief, noch ehe sie ganz bei ihr war, scharf und laut auf französisch: «Was denken Sie sich eigentlich, so ein gewöhnliches Geschöpf neben mich zu setzen? Ich wünsche, daß sie sofort entfernt wird. Eine meiner Freundinnen kommt später und braucht diesen Stuhl.»
    Madame Colbert sank das Herz. Sie kannte die Frau und ihre Herkunft. Sie

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