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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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bereits mit Nummern von Kleidern und hastig hingekritzelten Notizen für sich selber bedeckt, die sie niemals wieder würde entziffern können. Wie sollte einer sich nur unter so vielen Modellen entscheiden!
    Und dann glitt Natascha in den Salon und trug das Kleid Nummer 89, ein Abendkleid mit dem Namen Versuchung. Mrs. Harris blieb nur der flüchtige Bruchteil einer Sekunde, um den hingerissenen Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Mannes an der Tür zu bemerken, bevor der sich hastig abwendete, als sei er eigens dieserhalb gekommen... dann war es um sie geschehen. Sie war betäubt, geblendet, überwältigt von der Schönheit der Kreation. Diese war es!!! Danach kamen noch weitere herrliche Modelle von Abendkleidern, bis die traditionelle Vorführung eines Brautkleides die Modenschau beendete, doch die Scheuerfrau sah keins mehr davon. Ihre Wahl war getroffen. Fieberhafte Erregung beschleunigte ihren Herzschlag. Wie Feuer jagte das Begehren durch ihre Adern.
    Versuchung war ein schwarzes Samtgewand, fußlang, von unten an bis zur Mitte mit einem einzigartigen Muster von Jettperlen geschmückt, das dem Rock Gewicht und Schwung verlieh. Das Oberteil war ein Schaum von kremfarbenem, zartrosa und weißem Chiffon, von Tüll und Spitzen, aus dem sich Elfenbeinschultern und — hals und der traumäugige, dunkle Kopf Nataschas erhoben.
    Selten hatte eine Kreation einen passenderen Namen erhalten. Die Trägerin erschien wie Venus, die aus der perlenfarbigen See aufsteigt, und gleichzeitig stellte sie die verführerische Gestalt einer Frau dar, die sich aus zerdrückter Bettwäsche erhebt. Niemals war der obere Teil der weiblichen Gestalt verlockender umrahmt worden.
    Die Zuschauer brachen bei Nataschas Erscheinen in spontanen Beifall aus, und das Klatschen von Mrs. Harris’ Handflächen klang, als schlüge man mit einem Besenstiel auf die Fußbodendielen.
    Schreie und Murmeln — «La, la!» und « Voyez, c’est for-midable!» — erhoben sich allenthalben unter den anwesenden Männern, während der grimmige alte Herr mit seinem Stock auf den Boden stieß und vor unaussprechlichem Vergnügen strahlte. Das Gewand bedeckte Natascha sehr züchtig und sittsam, und doch war es anstößig und überwältigend verführerisch.
    Mrs. Harris kam nicht zum Bewußtsein, daß ihre Wahl ungewöhnlich sein könne. Denn sie war eine Frau und würde es ewig sein. Sie war einmal jung und verhebt gewesen. Sie hatte einen Mann gehabt, zu dem ihr Herz sich hingezogen gefühlt hatte und dem sie alles geben und sein wollte. Das Leben in diesem Sinn war nicht an ihr vorübergegangen. Sie war schüchtern, verlegen und sprachlos gewesen, doch sie hatte die Liebesworte gehört, die seine Lippen ihr stammelnd ins Ohr flüsterten. Seltsamerweise dachte sie in diesem Augenblick an die Fotografie auf ihrem Frisiertisch, sie selber in dem Musselinkleid mit Volants, das ihr damals so großartig erschienen war, nur daß sie sich jetzt auf dem Bild in dem Kleid Versuchung sah.
    Das Brautkleid winde ziemlich gleichgültig aufgenommen; schon strömten die Besucher, die summend und flüsternd die beiden Salons verließen, dem Ausgang zu, wo auf der großen Treppe die Vendeusen, die schwarzgekleideten Verkäuferinnen, wie Krähen aufgereiht, die Auftragsbücher unterm Arm, warteten, um sich auf ihre Kunden zu stürzen.
    Mrs. Harris, deren kleine blaue Augen wie Aquamarine funkelten, fand Madame Colbert. «Nummer neunundachtzig, Versuchung /» rief sie und setzte dann hinzu: «Oh, heber Gott, hoffentlich kostet es nicht mehr, als ich habe.»
    Madame lächelte matt und traurig. Sie hatte es geahnt. Versuchung war ein Gedicht, von einem Frauen-Dichter für ein junges Mädchen geschaffen, um ihre frische Schönheit und ihr Erwachen zur geheimnisvollen Macht des Geschlechts zu feiern. Doch verlangt wurde es unveränderlich von verblühenden, alternden, am Rande des Verwelkens stehenden Frauen. «Nun», sagte sie, «dann wollen wir nach hinten gehen, und ich will es Ihnen bringen lassen.»
    Sie führte sie durch graue Türen in einen andern Teil des Gebäudes, über endlose Wiesen weicher grauer Teppiche, bis Mrs. Harris schließlich wieder in eine andere Welt kam, in der sie vor Erregung fast erstickte.
    Sie fand sich in einem kleinen von Vorhängen abgegrenzten Raum auf einem Korridor, der zu einem niemals endenden Irrgarten gleicher Korridore und umschlossener Vierecke zu gehören schien. In jedem dieser Räume befand sich — wie eine Bienenkönigin in der Zelle

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