Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
Vom Netzwerk:
Nachmittag, als Mrs. Harris endlich mit Maßnehmen und Anpassen fertig war, hatte auch im letzten Winkel des Ateliers jeder die Geschichte von der Londoner Scheuerfrau gehört, die ihren Lohn gespart hatte und nach Paris gekommen war, um sich ein Kleid von Dior zu kaufen, und sie wurde bereits eine Art Berühmtheit. Angestellte, von den niedrigsten bis zu den höchsten — ja der Patron selber — hatte einen Grund gesucht, um an dem Probierraum vorübergehen und einen Blick auf diese bemerkenswerte Engländerin werfen zu können.
    Und als später Mrs. Harris zum letztenmal das Modell anzog, kam Natascha selbst — in einem hübschen Cocktailkleid, Weil sie zu der üblichen Runde von Abendverpflichtungen aufbrechen wollte. Doch sie fand nichts Ungewöhnliches oder Groteskes an der Gestalt der Scheuerfrau in der schotten Kreation, denn sie hatte die Geschichte gehört und war bewegt davon. Sie verstand Mrs. Harris. «Ich freue mich so, daß Sie dieses ausgesucht haben», sagte sie einfach.
    Und als die Londonerin plötzlich ausrief: «Himmel, wie soll ich bloß zu diesem Mr. Fauvel kommen! Er hat mir seine Adresse gegeben, aber ich weiß doch nicht, wo das ist...», war Natascha die erste, die sich anbot, sie hinzubringen. «Ich habe einen kleinen Wagen. Ich fahre Sie selber hin. Wo ist es denn?»
    Mrs. Harris überreichte ihr die Karte von Monsieur Fauvel: «Rue Dennequin, Nr. 18.» Natascha runzelte die Stirn bei dem Namen. «Monsieur André Fauvel», wiederholte sie. «Wo habe ich diesen Namen bloß schon gehört?»
    Madame Colbert lächelte nachsichtig. «Es ist der Buchhalter unserer Firma, Chéri, der Ihnen das Gehalt auszahlt.» «Tiens!» lachte Natascha. «Den müßte man ja eigentlich lieben. Madame Harris, wenn Sie fertig sind, bringe ich Sie gern zu ihm.»

Neuntes Kapitel

    So befand sich also Mrs. Harris kurz nach sechs Uhr in Nataschas kleinem sportlichen Simca, der die Stromschnellen des Verkehrs am Étoile überwand und dann den breiten Fluß der Avenue de Wagram hinuntersegelte, um das Haus Monsieur Fauvels zu erreichen. Das Telegramm nach London, in dem Mrs. Harris ihre Freundin bat, die Wünsche der Kunden bis zu ihrer Rückkehr so gut wie möglich zu befriedigen, war abgesandt, ein Telegramm, das Mrs. Butterfield bis ins Mark erschüttern sollte, da es aus Paris kam. Aber Mrs. Harris kümmerte sich nicht darum. Sie war noch auf Entdeckungsreisen durch das Paradies. Die Nr. 18 auf der Rue Dennequin war ein kleines, zweistöckiges, graues Haus mit Mansardendach, im neunzehnten Jahrhundert gebaut. Als die beiden Frauen an der Tür läuteten, rief von drinnen Monsieur Fauvel: «Entrez, entrez — kommen Sie herein!», weil er glaubte, es sei nur Mrs. Harris. Sie stießen die Tür auf, die angelehnt war, und traten in eine Wohnung, die sich in einem chaotischen Zustand befand — genau so, wie man es erwarten darf, wenn die Schwester eines Junggesellen verreist ist und die täglich erscheinende Putzfrau, der sie genaueste Anweisungen hinterlassen hat, gerade diesen Augenblick benutzt, um krank zu werden.
    Überall lag der Staub fingerdick, da seit einer Woche nichts angerührt worden war; Bücher und Kleidungsstücke bildeten ein malerisches Durcheinander, und es bedurfte einer ausschweifenden Phantasie, um sich die Geschirrstapel im Ausguß, die fettigen Töpfe auf dem Herd, den Zustand des Badezimmers und der Betten im Oberstock vorzustellen.
    Nie war ein Mann in größerer Verlegenheit gewesen: die ehrenvolle Narbe in dem blutroten Gesicht leuchtete weiß vor Scham, doch sie verlieh ihm ein recht anziehendes Aussehen; und Monsieur Fauvel stotterte: «Oh, nein... nein... Mademoiselle Natascha - ausgerechnet Sie... Ich kann Ihnen nicht erlauben, hereinzukommen... ich, der ich alles drum gegeben hätte, Sie willkommen zu heißen... Ich meine, ich lebe seit einer Woche allein hier... Es ist eine Schande für mich…»
    Mrs. Harris sah nichts Ungewöhnliches in dem Zustand des Hauses. Er war ihr vertraut wie die alten Zeiten, denn genau dies alles empfing sie in jedem Haus, in jeder Wohnung, in jedem Zimmer bei ihrer täglichen Arbeit in London.
    «Na, na, Schätzchen», rief sie munter. «Nur keine Aufregung! Das ist im Handumdrehen gemacht. Zeigen Sie mir nur, wo der Besenschrank ist, und beschaffen Sie mir einen Eimer und eine Scheuerbürste...»
    Und was Natascha betraf — die schaute durch und hinter den Schmutz und die Unordnung und sah die soliden, bürgerlichen Möbel, das Plüschsofa, den

Weitere Kostenlose Bücher