Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
hatte das Gefühl, in seinem ganzen Leben niemals so glücklich gewesen zu sein. Welch erstaunliche Wendung alles genommen hatte, seit — ja, seit diese wunderbare kleine Engländerin zu Dior gekommen war, um sich ein Kleid zu kaufen.
Mrs. Harris hatte noch niemals Kaviar oder Pâté de foie gras, ganz frisch aus Straßburg, gegessen, aber sie gewöhnte sich sehr schnell an beides und ebenso an den Hummer vom Pas de Calais und an die Aale in Aspik aus Lothringen. Weiter gab es Charcuterie aus der Normandie, ein ganzes gebratenes Poulet de Bresse, kalt, und schließlich eine knusprige Ente aus Nantes. Zu Hummer und hors d’œuvres gab es einen Chassigny Montrachet, zum Kaviar Champagner, zum Geflügel einen Baune Romanée, während dem Schokoladenkuchen zum Nachtisch ein Yquem den rechten Geschmack verlieh.
Mrs. Harris aß für die vergangene Woche, für die laufende und auch schon für die kommende. Eine solche Mahlzeit hatte es für sie noch nie gegeben und würde es vermutlich auch nie wieder geben. Ihre Augen funkelten vor Entzücken, als sie frohlockte: «Lieber Himmel, es geht doch nichts darüber, mal so ordentlich reinzuhauen.»
«Draußen der Abend ist himmlisch», erklärte Monsieur Fauvel, die Augen schmelzend auf das süße, gepflegte Katzengesicht Nataschas gerichtet, «vielleicht können wir nachher der Stadt Paris erlauben, sich uns zu zeigen...»
«Uff!» grunzte Mrs. Harris, vollgestopft bis zu den borstigen Augenbrauen. «Geht ihr beide allein. Ich habe den schönsten Tag meines Lebens hinter mir. Ich bleibe zu Haus, wasche ab, dann gehe ich ins Bett und gebe mir Mühe, nicht in Battersea aufzuwachen.»
Aber plötzlich fühlten sich die beiden jungen Menschen gehemmt und verlegen, was Mrs. Harris, übersatt wie sie war, nicht bemerkte. Hätte diese kleine Scheuerfrau eingewilligt mitzugehen, dachte Monsieur Fauvel, dann wäre alles anders gewesen und der strahlende Glanz dieses überschwenglichen Festes mit Nataschas herrlicher Anwesenheit vielleicht erhalten geblieben. Doch ohne diese seltsame Engländerin war der Gedanke, Diors Starmannequin Paris zu zeigen, plötzlich äußerst lächerlich.
Für Natascha bedeutete Paris bei Nacht das Innere einer Reihe von verräucherten Boîtes oder teuren Nachtklubs wie Dinazard oder Shéhérazade, die sie von Herzen satt hatte. Sie hätte viel darum gegeben, auf der Grande Terrasse von Le Sacre Cœur unter dem sternenübersäten Himmel zu stehen und über das Spiegelbild dieser Sterne, das Lichtmeer von Paris, blicken zu dürfen — ganz besonders, wenn sie Monsieur Fauvel neben sich hätte.
Aber wenn es Mrs. Harris ins Bett zog, hatte sie ja keinen Grund mehr, noch länger hierzubleiben. Sie war schon allzusehr in Monsieur Fauvels Privatleben eingedrungen. Schamlos hatte sie mit Besen und Staublappen ihre Nase in seine Angelegenheiten gesteckt, den Schmutz in seinem Ausguß gesehen, sich die geradezu unvorstellbare Intimität erlaubt, seine Badewanne sauberzumachen, und die noch unverzeihlichere, sogar darin zu baden.
Plötzlich wurde sie verwirrt und murmelte errötend: «O nein, nein, nein. Ich kann nicht, es ist unmöglich. Ich habe leider eine Verabredung. Ich muß gehen.»
Monsieur Fauvel nahm den Schlag hin; er hatte ihn erwartet. Ach ja, dachte er, du mußt zurück in das Leben, das dir am besten gefällt, kleiner Schmetterling. Irgendein Graf, Marquis, Herzog oder gar ein Prinz wird auf dich warten. Aber ich habe wenigstens diesen einen Abend der Seligkeit gehabt und muß zufrieden sein. Laut murmelte er: «Ja natürlich, Mademoiselle sind schon zu gütig gewesen.»
Er verbeugte sich tief, ihre Hände berührten sich, und die Blicke tauchten für eine Sekunde ineinander. Diesmal sahen es die scharfen, wissenden Augen von Mrs. Harris. , sagte sie zu sich selber,
Doch dazu war es nun zu spät, und überdies war sie wirklich so vollgegessen, daß sie sich nicht zu bewegen vermochte. «Na, gute Nacht dann, meine Lieben», sagte sie laut und deutlich und stieg die Treppe hinauf in der Hoffnung, daß die beiden, wenn sie erst fort war, sich doch noch entschließen würden, zusammen auszugehen. Doch einen Augenblick später hörte sie, wie die Haustür sich öffnete und schloß, und dann das Rattern, als der Motor von Nataschas Simca ansprang. So endete Ada Harris’ erster Tag in einem fremden Land unter fremden Leuten.
Doch als Monsieur Fauvel am nächsten Morgen vorschlug, ihr am Abend
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