Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
— eine Frau; und durch die Korridore hasteten die Arbeiterinnen mit dem Honig: Arme voll gekräuselter, schaumiger Gewänder in den Farben der Pflaume, Himbeere, Tamarinde und des Pfirsichs, der Enzian-, Primelblüte, der Damaszener Rose und der Orchidee, um sie dort vorzuzeigen, wo sie zum Anprobieren und zur genaueren Besichtigung verlangt wurden.
Hier war tatsächlich die geheime Welt der Frau, wo man Klatsch und neueste Skandale austauschte, das Schlachtfeld, auf dem der Kampf gegen die Verheerungen des Alters mit den Waffen der Schneiderkunst ausgefochten und wo an einem einzigen Nachmittag Vermögen ausgegeben wurden.
Hier vergeudeten, von Verkäuferinnen, Näherinnen, Zuschneidern und Zeichnern bedient, die mit Maßband, Schere, Nähnadel und Faden, den Mund voller Stecknadeln, umherschwärmten, reiche Französinnen und Amerikanerinnen, Adlige aus England, Maharanis aus Indien und sogar, wie man munkelte, ein, zwei Gattinnen eines Botschafters oder Kommissars aus Rußland ihre Nachmittage — und das Geld ihrer Ehemänner.
Und hier, inmitten dieses erregenden und hinreißenden Bienenkorbes, stand, von ihrer eigenen Entourage umschwärmt, auch die Londoner Scheuerfrau — eingehüllt in Versuchung, in die sie erstaunlich gut hineinpaßte. Doch das war zu verstehen, denn sie war schlank, abgemagert durch körperliche Arbeit und karge Nahrung.
Aus dem wunderbaren Schaum von Muschelrosa, duftigem Krem und Perlenweiß tauchte sie auf wie — Ada Harris aus London-Battersea. Die Kreation wirkte kein Wunder — nur in ihrer eigenen Seele. Der magere, faltige Hals und der graue Kopf, die aus dem Dekollete der Toilette auf stiegen, die runzlige Haut, die kleinen, knopfblanken Augen und die Apfelbäckchen wirkten neben dem klassischen Fall der jettbestickten schwarzen Samtbahnen grotesk — aber doch nicht ganz, denn sowohl das schöne Gewand wie das Strahlen der Persönlichkeit verliehen dieser außergewöhnlichen Erscheinung eine Art kurioser Würde.
Mrs. Harris war in ihr Paradies gelangt. Sie befand sich im Zustand der erträumten und ersehnten Seligkeit. Alle Entbehrungen und Opfer, das Knausern, Hungern und Verzichten, die sie auf sich genommen hatte, bedeuteten gar nichts mehr. In Paris ein Kleid zu kaufen, war doch bestimmt das größte Wunder, das einer Frau geschehen konnte.
Madame Colbert zog eine Liste zu Rate. «Ah, oui», murmelte sie, «es kostet fünfhunderttausend Frank...» Bei dieser Zahl erblaßten Mrs. Harris’ Apfelbäckchen. So viel Geld gab es ja auf der ganzen Welt nicht. «... as sind fünfhundert englische Pfund», fuhr Madame Colbert fort, «oder eintausendvierhundert amerikanische Dollar, und bei unserm kleinen Skonto für Barzahlung...»
Ein triumphierender Schrei von Mrs. Harris unterbrach sie: «Himmel! Dann reicht es ja! Oh, ich krieg’s! Kann ich gleich bezahlen?» Und mit ungelenken Bewegungen unter den Petticoats, den Jettperlen und inneren Versteifungen des Kleides griff sie nach ihrer Handtasche.
«Natürlich — wenn Sie das wünschen. Aber ich nehme nicht gern einen so hohen Betrag an. Ich werde Monsieur Fauvel bitten, herunterzukommen», entgegnete Madame Colbert und ging zum Telefon.
Wenige Minuten später erschien der junge, blonde Monsieur André Fauvel in der Kabine, wo die schlauen, forschenden Augen ihn sofort als den Mann erkannten, der Natascha mit einem so hoffnungslos liebeverlorenen Ausdruck betrachtet hatte.
Monsieur Fauvel dagegen empfand beim Anblick der aus Versuchung auf steigenden Mrs. Harris fast unverhohlenen Abscheu vor dem Bild dieser irdischen Gestalt, die das bei der Modenschau von seiner Göttin vorgeführte Gewand entweihte. Für den entflammten Geist des jungen Fauvel war es, als hätte sich eines der Mädchen von der Rue Blanche oder der Place Pigalle in die französische Trikolore gehüllt.
Das Geschöpf lächelte ihm mit schlechten und unvollständigen Zähnen zu und runzelte dabei die Wangen, so daß sie aussahen wie frostverschrumpfte Früchte, und sagte: «Es stimmt genau, Herzchen, Vierzehnhundert Dollar... das ist mein letzter Penny. Ist egal!» Damit streckte sie ihm das Dollarbündel hin.
Madame Colbert sah den Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Buchhalters. Sie hätte ihm erklären können, daß sie das jede Woche hundertmal erlebe: erlesene Kreationen, für schöne Frauen entworfen und von geschminkten alten Vogelscheuchen davongetragen. Sie berührte ihn leicht am Arm, lenkte seine Aufmerksamkeit von der Scheuerfrau ab und
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