Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
etwas von Paris zu zeigen, bat Mrs. Harris sofort, Natascha solle mit von der Partie sein. Nervös widersprach Monsieur Fauvel: für so erhabene Geschöpfe wie Mademoiselle Natascha sei das Besichtigen von Sehenswürdigkeiten nicht das Rechte.
«Ach, Unsinn!» schalt Mrs. Harris. «Bilden Sie sich bloß nicht ein, daß sie anders wäre als jedes andere junge Mädchen, sobald ein stattlicher Mann in der Nähe ist! Sie wäre gestern abend wohl mit Ihnen ausgegangen, wenn Sie sich nur nicht so angestellt hätten. Sie erzählen ihr einfach, ich hätte gesagt, sie solle mitkommen.»
An diesem Vormittag begegneten sich die beiden kurz auf der mit grauen Läufern belegten Treppe bei Dior. Verlegen blieben sie einen Augenblick stehen. Monsieur Fauvel brachte es mit Mühe fertig, zu stottern: «Heute abend will ich Mrs. Harris Paris zeigen. Sie hat sehr gebeten, daß Sie uns begleiten möchten.»
«Oh», flüsterte Natascha, «Madame Harris hat darum gebeten? Sie wünscht es? Nur sie?»
Monsieur Fauvel vermochte lediglich schweigend zu nicken. Wie hätte er in der eisigen Strenge des großen Treppenhauses im Atelier Christian Dior ausrufen können: «Ach nein, ich möchte es, ersehne es, wünsche es mit aller Kraft. Ich bete den Flor des Teppichs an, auf dem Sie stehen.»
Schließlich sagte Natascha: «Wenn sie es wünscht, werde ich kommen. Sie ist ganz reizend, die kleine Frau.»
«Dann also um acht.»
«Ich werde da sein.»
Sie setzten ihren Weg fort: er hinauf, sie hinunter.
Der bezaubernde Abend fand statt, wie vorgesehen. Er begann für die drei mit einer Fahrt in einem Bateau mouche die Seine hinauf zu einem Restaurant am Flußufer in einem winzigen Vorort. Mit wunderbarem Taktgefühl vermied Monsieur Fauvel all jene Lokale, in denen sich Mrs. Harris hätte unbehaglich fühlen können — die teuren und luxuriösen Stätten — , und wußte gar nicht, wie glücklich Natascha in dieser bescheidenen Umgebung war.
Sie saßen in einem kleinen Familienrestaurant. Die Tische waren aus Eisen, die Tischdecken kariert und das Brot wunderbar kroß und frisch. Mrs. Harris nahm alles mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung in sich auf: Die einfachen Leute an den Nachbartischen, die spiegelglatte Oberfläche des Flusses, auf der Vergnügungsdampfer zu den Klängen von Akkordeons dahintrieben. «Genau wie zu Haus!» sagte sie strahlend. «Manchmal fahre ich mit meiner Freundin Mrs. Butterfield an einem heißen Abend den Fluß hinauf, und dann machen wir in einem kleinen Lokal an der Brauerei Station, um ein Glas Bier zu trinken.»
Nur Schnecken zu essen, wehrte sie sich entschieden. Sie prüfte die Tiere in ihren dampfenden, brüchigen Schalen zwar sehr interessiert. Indessen: der Geist war willig, doch der Magen sagte nein.
«Ich bring’s nicht fertig», gestand sie schließlich, «wo ich sie doch herumkriechen sehen habe.»
Von diesem Tag an wurden die abendlichen Streifzüge durch Paris ganz selbstverständlich für die drei, ohne daß noch viele Worte darüber verloren zu werden brauchten. Tagsüber, während die beiden andern arbeiteten, war Mrs. Harris frei, sobald sie die Wohnung von Monsieur Fauvel aufgeräumt und ihre Anprobe um halb zwölf hinter sich gebracht hatte; dann erforschte sie die Stadt auf eigene Faust. Doch die Abende begannen feierlich mit Nataschas Ankunft im Simca — und zu dritt fuhren sie von dannen.
So sah Mrs. Harris Paris bei Dämmerung von der zweiten Plattform des Eiffelturms, bei müchigem Mondlicht vom Sacré Coeur und morgens bei Sonnenaufgang, wenn der Marktbetrieb in Les Halles begann, nach einer Nacht, in der sie diesen oder jenen Teil der Stadt der nie endenden Wunder besichtigt hatte; in der Nähe der Hallen frühstückten sie gemeinsam zwischen Arbeitern, Marktträgem und Lastwagenchauffeuren Eier und Knoblauchwürstchen.
Einmal gingen sie — Natascha war die Anstifterin dieses Plans — in die Revue des nudes, ein Kabarett in der Rue Blanche, aber die Scheuerfrau war weder entrüstet noch beeindruckt. Bisweilen finden diese Vorführungen in einer merkwürdig gemütlichen Atmosphäre statt; ganze Familien, einschließlich der Großmütter, Väter, Mütter und jungen Leute, kommen vom Lande, um irgendeinen Jahrestag zu feiern, bringen einen Frühstückskorb mit, bestellen Wein und machen es sich bequem, um den Spaß zu genießen.
In diesem Milieu fühlte sich Mrs. Harris richtig zu Haus. Sie fand die Parade der splitterfasernackten jungen Damen nicht unmoralisch. Nach
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