Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
dem taufrische weiße Lilien emporragten, und auf einen andern mit festen, glatten Gladiolenknospen, bei denen nur ein Schimmer von Karmin, Rosa, Zitronen- und Malvenfarbe an den Stengeln die künftige Blütentönung verriet. Tropfen von frischem Wasser funkelten auf. «Ach, du lieber Gott!» murmelte Mrs. Harris. «Hoffentlich vergißt Mrs. Butterfield nicht, meine Geranien zu gießen.»
«Ah, Sie ziehen Geranien, Madame?» erkundigte sich der Marquis höflich.
«Zwei Blumenkästen voll am Fenster und mindestens ein Dutzend Töpfe überall, wo Platz ist. Es ist sozusagen mein Hobby.»
«Epatant!» murmelte der Marquis für sich selbst und fragte dann: «Und das Kleid, das Sie sich hier aussuchen wollten... haben Sie es gefunden?»
Mrs. Harris grinste spitzbübisch. «Und ob ich es gefunden habe! Es ist Versuchung, erinnern Sie sich noch? Schwarzer Samt mit schwarzen Perlen bestickt und oben so dünnes rosa Zeug.»
Der Marquis überlegte einen Augenblick und nickte dann. «Ah, ja, ich erinnere mich. Es wurde von diesem erlesenen jungen Geschöpf vorgeführt...»
«Natascha», ergänzte Mrs. Harris. «Das ist meine Freundin. Es wird gerade für mich gemacht. Drei Tage muß ich noch warten.»
«Und inzwischen genießen Sie mit viel Fingerspitzengefühl die wahren Reize unserer Stadt...»
«Und Sie...» begann Mrs. Harris, brach jedoch ab, da sie intuitiv die Antwort auf die Frage wußte, die sie hatte stellen wollen.
Aber Marquis de Chassagne war keineswegs verstimmt, sondern bemerkte nur gemessen: «Sie haben es erraten. Mir bleibt nur noch so wenig Zeit, mich an den Schönheiten der Erde zu erfreuen. Kommen Sie, wir setzen uns dort ein wenig auf die Bank in die Sonne und plaudern.»
So saßen sie denn Seite an Seite auf der grünen Holzbank inmitten der sinnenfreudigen Farben und hinreißenden Düfte, der Aristokrat und die Scheuerfrau, und unterhielten sich. Welten trennten sie, und doch waren sie sich nicht fern, weil sie eines miteinander verband: ihre schlichte Menschlichkeit und Wärme. Trotz all seiner Titel und der hervorragenden Stellung war der Marquis ein einsamer Witwer, die Kinder erwachsen und in der Welt verstreut. Und was war Mrs. Harris anderes als eine ebenso einsame Witwe, die jedoch den Mut besaß, einmal auf ein großes Abenteuer auszuziehen, um ihr Verlangen nach Schönheit und Eleganz zu befriedigen. Sie hatten vieles gemeinsam, diese beiden.
Außer den Geranien, bemerkte Mrs. Harris, erhalte sie auch von Kunden, die über das Wochenende aufs Land führen oder die gerade frische Blumen geschenkt bekommen hätten, von Zeit zu Zeit halbwelke Schnittblumen, mit denen sie ihre kleine Kellerwohnung schmücke. «Ich bringe sie, so rasch es geht, nach Haus», erklärte sie, «schneide die Stiele ein wenig ab und stelle sie in einen Krug frisches Wasser, in den ich einen Penny lege.»
Bei diesem Beweis von Intelligenz schaute der Marquis erstaunt auf.
«Ja, haben Sie das denn gar nicht gewußt?» sagte Mrs. Harris. «Wenn man eine Kupfermünze in das Wasser von welken Blumen legt, erholen sie sich wieder.»
Voller Interesse erwiderte der Marquis: «Ich sage es ja immer, man wird alt wie ein Haus und lernt nie aus.» Dann ging er zu einem andern Thema über, das seine Anteilnahme erregt hatte. «Und Sie sagten, Sie hätten sich mit Mademoiselle Natascha befreundet?»
«Ja», nickte Mrs. Harris, «so was von einem Schatz! Gar nicht hochnäsig und angeberisch trotz all dem Theater, das man um sie macht. Meine eigene Tochter könnte nicht netter zu mir sein. Aber das sind sie alle — dieser freundliche junge Monsieur Fauvel, der Kassierer... bei dem ich jetzt wohne... und die arme Madame Colbert...»
«Eh», sagte der Marquis, «und wer ist Madame Colbert?»
Nun war Mrs. Harris an der Reihe, ein erstauntes Gesicht zu machen. «Sie müssen Madame Colbert doch kennen — die Directrice — , die, die einem sagt, ob man rein darf oder nicht. Über die geht wirklich nichts. Wenn ich mir vorstelle, daß sie Ada Harris zu all den feinen Fatzken reingelassen hat!»
«Ach so, ja», sagte der Marquis mit wiedererwachtem Interesse, «die! Eine seltene Persönlichkeit, eine Frau mit Rechtschaffenheit und Mut. Aber wieso denn arm?»
Mrs. Harris rückte ihr Hinterteil auf der Bank so zurecht, daß sie ganz bequem saß, um diesen wirklich famosen kleinen Schwatz auch richtig zu genießen. So etwas! Dieser vornehme französische Herr war ja genau wie jeder andere bei ihr zu Haus. Sie hätte es nie für
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