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Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Titel: Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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ihrem Kodex bedeutete Unmoral, etwas Schmutziges zu tun. Interessiert schaute sie nach den ziemlich befleischten Najaden und bemerkte: «Meine Güte — ein paar von denen brauchten wirklich ‘ne Abmagerungskur, was?» Als später eine nur mit einem silbernen Feigenblatt bekleidete Künstlerin einen ziemlich anstrengenden Tanz vorführte, murmelte Mrs. Harris: «Lieber Himmel, wie macht die das nur?»
    «Was?» fragte Monsieur Fauvel zerstreut, denn seine Aufmerksamkeit richtete sich ausschließlich auf Natascha. «Daß das Ding bei dem Gehopse nicht runterfällt.»
    Monsieur Fauvel wurde blutrot, und Natascha lachte schallend, verzichtete jedoch auf eine Erklärung.
    Und auf diese Weise verlor Mrs. Harris jede Furcht vor der großen fremden Hauptstadt, denn die beiden zeigten ihr ein Leben und eine Stadt, in der es von Menschen wie ihr selber wimmelte — einfachen, groben Geschöpfen, realistisch und in schwerer Arbeit dem gleichen Kampf hingegeben, den sie selber führte: das tägliche Leben zu fristen.

Zehntes Kapitel

    Mit Ausnahme der Stunde, in der Mrs. Harris ihr Kleid anprobierte, tat sie den ganzen Tag über nichts anderes, als durch Paris zu schlendern, ohne je zu wissen, wohin die Füße sie tragen würden. Die gleißenden Geschäftsviertel der Champs-Elysées, des Faubourg St. Honoré und der Place Vendôme interessierten sie nicht, denn in London gab es ebenso glanzvolle und teure Einkaufsstraßen, die sie nie aufsuchte. Aber an andern Gegenden fand sie Gefallen — an den schönen Parks, dem Fluß und vor allem an den Großstadtmenschen in den ärmeren Gebieten.
    Sie erforschte also das linke Ufer, dann das rechte und geriet ganz zufällig in ein Paradies, auf den Blumenmarkt am Quai de la Corse auf der Ile de la Cité.
    Zu Haus hatte Mrs. Harris auf ihren Wegen zur Arbeit oft verlangend in die Schaufenster der Blumengeschäfte geblickt und bewundernd die Treibhausblüten, die Orchideen, Rosen und Gardenien betrachtet, doch noch nie in ihrem Leben hatte sie sich inmitten einer so berauschenden Fülle von Blumen aller Art, Farbe und Form befunden, die auf den Fußwegen standen und die Buden und Stände des Blumenmarktes in Blickweite der Zwillingstürme von Notre-Dame füllten.
    Da gab es Straßen, die aussahen wie ein Meer von Azaleen in Rosa, Weiß, Rot und Purpur, dazwischen ungeheure Sträuße kremfarbener, karminroter und gelber Nelken. Ganze Stiefmütterchenfelder lächelten zur Sonne hinauf, und blaue Iris, rote Rosen und riesige Gladiolenstengel, im Treibhaus zu früher Blüte gezwungen, reckten ihre Blütenköpfe empor.
    Von vielen Pflanzen und Blumen kannte Mrs. Harris nicht einmal den Namen, kleine, gummiartig aussehende rosa Blüten mit gelber Mitte und tiefblauen Blütenblättern, jede nur vorstellbare Art von Tausendschönchen und Margeriten, dickköpfige Pfingstrosen und natürlich Reihen um Reihen von Mrs. Harris’ geliebten Geranien.
    Doch nicht nur das Auge wurde von der Vielfalt der Formen und Farben bezaubert und überwältigt — die sanfte Brise, die vom Fluß her wehte, berauschte auch die Nase und versetzte den wahren Blumenliebhaber in seinen Sonderhimmel. Und zu diesen Liebhabern gehörte Mrs. Harris. Von allen Seiten kamen die köstlichen Gerüche, und inmitten dieser verschwenderischen Fülle von Farben und Düften wanderte Mrs. Harris wie durch einen Traum.
    Durch den gleichen Traum spazierte auch eine andere uns bekannte Gestalt, und zwar keine geringere als der grimmige alte Herr, der bei der Modenschau im Hause Dior Mrs. Harris’ Nachbar gewesen war; sein Name war Marquis de Chassagne, und er stammte aus alter Familie. Er trug einen hellbraunen Frühjahrsmantel, einen braunen Homburg und rehfarbene Handschuhe. Jetzt stand kein Grimm auf seinem Gesicht, und selbst die buschigen, wild geschwungenen Augenbrauen sahen friedlich aus, wie er da durch die Gassen von frischen, taufeuchten Blüten schlenderte und tief und voller Befriedigung die aufsteigenden Düfte einatmete.
    Sein Weg kreuzte den der Scheuerfrau, ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht, und er hob den Homburg mit der gleichen Geste, mit der er ihn vor einer Königin abgenommen hätte. «Ah», sagte er, «unsere Nachbarin aus London, die Blumen liebt. Sie haben also den Weg hierher gefunden.»
    Mrs. Harris erwiderte: «Ist das nicht wie ein Stückchen Himmel? Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten, wenn ich es nicht mit eigenen Augen sähe.» Sie blickte auf einen ungeheuren Krug hinunter, aus

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