Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
in der Öffentlichkeit zu zeigen, und die noch dazu ohne Mitgift war. Nein, niemals. Er würde irgendeine gute, einfache, bürgerliche Tochter eines Freundes oder Bekannten wählen, oder vielleicht würde die verreiste Schwester sie für ihn aussuchen. Und dann würde er ein friedliches, reibungsloses Eheleben führen und viele Kinder aufziehen. Oh, wie sie sich danach sehnte, diese Frau zu sein, dieses friedliche Leben mit ihm zu führen und ihm diese Kinder zu schenken!
Die Kapelle begann einen prickelnden Cha-cha-cha. Auf dem Tisch stand eine geöffnete Flasche Champagner. Sie waren noch beim Essen und erwarteten als nächsten Gang einen erstklassigen Chateaubriant. Überall um sie her ertönte fröhliches Lachen und angeregte Unterhaltung, nur sie selber saßen in dichtes Schweigen gehüllt.
Mrs. Harris schüttelte den Schatten ab, der sich über sie gelegt hatte, spürte die wunderbare Erregung des Lebens und die Schönheit, die sie allenthalben umgab, und wurde plötzlich gewahr, in welcher Verfassung sich ihre Begleiter befanden; sofort versuchte sie, etwas dagegen zu tun. «Wollt ihr beiden denn gar nicht tanzen?» fragte sie.
Monsieur Fauvel errötete und murmelte etwas davon, daß er schon lange nicht mehr getanzt habe. Er hätte es zwar für sein Leben gern getan, aber er wollte Natascha nicht zwingen, eine Umarmung zu ertragen, die ihr zuwider sein mußte.
«Ich habe keine rechte Lust zu tanzen», sagte Mademoiselle Petitpierre, obwohl sie alles dafür hingegeben hätte, in diesem Augenblick mit ihm auf der Tanzfläche zu sein, doch sie wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, nachdem er deutlich gezeigt hatte, daß er nicht mehr mit ihr zu tun haben mochte, als Pflicht und Höflichkeit erforderten.
Mrs. Harris’ scharfen Ohren jedoch war der trübselige Ton und die unverkennbare Trauer in den Stimmen nicht entgangen, und ihre klugen Augen gingen forschend von einem zum andern.
«Na, hört mal», sagte sie, «was ist denn mit euch beiden los?»
«Aber gar nichts.» — «Nein, natürlich, gar nichts.»
In ihrem Bestreben, das zu beweisen, wandten sich Monsieur Fauvel und Mademoiselle Petitpierre gleichzeitig in lebhaftem, nichtigem Geplauder an Mrs. Harris, während einer den Augen des andern auswich; das dauerte eine Minute lang, bis plötzlich die Unterhaltung wieder versiegte und das Schweigen sich nur um so dichter über dem Tisch niederließ.
«Man sollte’s nicht für möglich halten!» sagte Mrs. Harris. «Und ich war so dämlich, zu glauben, ihr beide wäret euch längst einig.» Sie kehrte sich Monsieur Fauvel zu und fragte: «Können Sie Ihren Mund nicht endlich aufmachen? Worauf warten Sie denn noch?»
Monsieur Fauvel wurde rot wie die elektrische Birne über seinem Kopf. «Aber... aber... ich... ich...» stotterte er, «sie würde mich doch niemals...»
Mrs. Harris wandte sich an Natascha. «Und Sie könnten nun auch ruhig ein bißchen helfen. Wenn zu meiner Zeit eine junge Dame ihr Herz an einen Burschen gehängt hatte, ließ sie es ihn früh genug merken. Was glauben Sie wohl, wie ich sonst an meinen Mann gekommen wäre?»
Über dem schönen, dunkel schimmernden Kopf des Mädchens hing eine weiße Birne, und nun wurde Natascha bleich wie der fahle Schein.
«Aber André will mich nicht...» flüsterte sie.
«Quatsch», sagte Mrs. Harris. «Er möchte — und Sie auch. Ich hab doch Augen im Kopf. Ihr seid beide verhebt. Was soll denn das dumme Getue?»
Gleichzeitig fingen Monsieur Fauvel und Mademoiselle Petitpierre an:
«Er würde mich nie...»
«Sie könnte mich nie...»
Mrs. Harris kicherte in sich hinein. «Ihr seid verliebt, nicht wahr? Und wer kann nun was nicht?»
Zum erstenmal schauten sich die beiden jungen Menschen offen in die Augen und sahen, was darin stand. Als sie so einer im Blick des andern gefangen waren, trat auf ihre Gesichter endlich der helle Ausdruck der Hoffnung und der Liebe. In den Winkeln von Nataschas strahlenden Augen bildeten sich zwei schimmernde Tränen.
«Und jetzt entschuldigt mich eine Minute», verkündete Mrs. Harris bedeutsam. «Ich will nur Tante Meyer einen kleinen Besuch abstatten.» Sie erhob sich und schritt in der Richtung des Pavillons davon.
Als sie eine gute Viertelstunde später zurückkam, schwebte Natascha, von Monsieur Fauvels Armen umschlossen, über die Tanzfläche, den Kopf an seine Brust gebettet und das Gesicht tränennaß. Doch als sie Mrs. Harris zurückkommen sahen, liefen sie auf sie zu und umarmten sie
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