Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
möglich gehalten, daß er sich so für die Sorgen und Nöte anderer interessierte. Ihre Stimme nahm einen Klang unbekümmerter Vertraulichkeit an, als sie ihm auf den Arm klopfte und erwiderte: «Na ja, wegen ihrem Mann, aber von dem können Sie ja schließlich nichts wissen.»
«Oh», sagte der Marquis, «sie hat also einen Ehemann? Und wo hegt die Schwierigkeit? Ist er krank?»
«Das nicht», erwiderte Mrs. Harris, «und Madame Colbert würde sich’s auch im Traum nicht einfallen lassen, jemandem was davon zu erzählen, aber mir hat sie’s natürlich gesagt. Eine Frau wie ich, die ihren Mann begraben hat, kann so was verstehen. Fünfundzwanzig Jahre im gleichen Amt und immer...»
«Ihr Mann?» fragte der Marquis.
«Aber nein, meiner nicht, der von Madame Colbert, und immer der Kopf des ganzen Amtes. Aber jedesmal, wenn er dran wäre, die Leiter raufzuklettern, kriegt irgendein Graf oder der Sohn eines reichen Mannes die Stelle, und das hat ihm fast das Herz gebrochen... und Madame Colbert auch.»
Der Marquis verspürte ein seltsames Prickeln auf der Kopfhaut, und es begann ihm zu dämmern. In Mrs. Harris’ Stimme klang etwas von Madame Colberts Bitterkeit, als sie nun fortfuhr: «Jetzt hat er wieder eine Chance, aber keinen Menschen, der ein gutes Wort für ihn einlegt oder ihm ein wenig behilflich ist. Die liebe Madame Colbert weint sich die Augen aus.»
Ein kleines, fast jungenhaftes Lächeln spielte um den strengen Mund des alten Marquis. «Heißt Madame Colberts Mann zufällig Jules?»
Grenzenlos verblüfft starrte Mrs. Harris ihn an, als ob er ein Zauberkünstler wäre. «Nun hören Sie aber auf!» rief sie aus. «Woher wissen Sie denn das? So heißt er, Jules Kennen Sie ihn vielleicht gar? Madame Colbert sagt, er hat mehr Verstand im kleinen Finger als all die andern in ihren gestreiften Hosen.»
Der Marquis unterdrückte ein Kichern und sagte: «Madame Colbert könnte recht haben. Der Verstand eines Mannes, der ein solche Frau geheiratet hat, ist gar nicht zu bezweifeln.» In nachdenklichem Schweigen saß er einen Augenblick da und zog dann eine Visitenkartentasche aus der Jacke, der er ein feingraviertes Kärtchen entnahm. Mit einem altmodischen Füllhalter schrieb er eine kurze Mitteilung auf die Rückseite. Er schwenkte die Karte, bis die Tinte getrocknet war und überreichte sie Mrs. Harris. «Wollen Sie so freundlich sein, daran zu denken, daß Sie Madame Colbert diese Karte geben, wenn Sie sie Wiedersehen?»
Mit unverfrorener Neugier betrachtete Mrs. Harris die Karte. Der gravierte Teil lautete: Le Marquis Hypolite de Chassagne, Conseiller extraordinaire au Ministère des Affaires Étrangères, Quai d’Orsay. — Das sagte ihr nicht mehr, als daß ihr Freund ein feiner Herr vom Adel war. Sie drehte die Karte um, doch die Mitteilung war in Französisch gekritzelt, und sie verstand sie ebensowenig. «Wird gemacht», sagte sie, «ich hab zwar einen Kopf wie ein Sieb, aber das vergesse ich nicht.»
Eine Kirchturmuhr schlug elf. «Ach, du lieber Gott!» erklärte sie. «Ich habe ja gar nicht auf die Zeit geachtet. Ich komme zu spät zur Anprobe.» Sie sprang von der Bank und rief: «Auf ein andermal, Schatz, vergessen Sie nicht, den Penny in die Blumenvase zu legen.» Und weg war sie. Der Marquis blieb in der Sonne sitzen und schaute ihr nach, einen Ausdruck hingerissener und schrankenloser Bewunderung auf dem Gesicht.
Als Mrs. Harris an diesem Vormittag anprobierte, kam Madame Colbert in die Kabine, um sich zu überzeugen, wie es mit dem Kleid stehe, und war der Näherin hier mit einem Wink und da mit einem Rat behilflich. Plötzlich stieß Mrs. Harris einen kleinen Schrei aus. «Lieber Himmel! Beinahe hätte ich’s vergessen. Hier, er hat gesagt, das sollte ich Ihnen geben.» Sie holte ihre Handtasche unter dem Stuhl hervor, stöberte darin herum und zog endlich die Karte heraus, die sie Madame Colbert reichte.
Die Directrice wurde rot und dann, als sie den Namen und die Mitteilung auf der Rückseite gelesen hatte, totenbleich. Die Finger, die die Karte hielten, fingen an zu zittern. «Woher haben Sie das?» flüsterte sie. «Wer hat Ihnen das gegeben?»
Mrs. Harris machte ein besorgtes Gesicht. «Der alte Herr. Der mit dem roten Ding im Knopfloch, der damals neben mir saß, als die Kollektion vorgeführt wurde. Ich traf ihn auf dem Blumenmarkt und hab ein bißchen mit ihm geschwatzt. Es ist doch keine schlechte Nachricht, oder...»
«O nein, nein, gar nicht», murmelte Madame Colbert,
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