Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
Mrs. Harris’ Kunde, denn dann begab sie sich in seine kleine Wohnung in jenem Stadtteil Londons, der den gleichen Namen hatte wie er, nämlich Bayswater, um dort zu putzen. Aber sie nahm dafür kein Geld, denn sie hatte nie vergessen, wie hilfreich Bayswater ihr in ihrer schwierigen Lage in Amerika zur Seite gestanden hatte. Im übrigen jedoch war die Freundschaft förmlich geblieben.
Der Chauffeur war ein eingefleischter Junggeselle, dessen einzige Liebe offenbar die verschiedenen Rolls-Royce waren, die er gefahren hatte und die er innen und außen unablässig pflegte und polierte, so daß der Motor kaum zu vernehmen war und das Chassis immer makellos glänzte.
An diesem Abend kam es zu einer hitzigen Debatte über die Persönlichkeit und die Ansichten des Ehrenwerten Ronald Puckle, konservativer Abgeordneter von Marley Vale.
«Solche Männer wie der schaden der Regierung nur», sagte Mrs. Harris und warf dabei einen grollenden Blick auf den Fernsehschirm, als ob er dort noch zu sehen sei. «Ein Schwätzer, und dazu noch einer, der nicht viel auf der Pfanne hat!»
«Aber, aber», sagte Mr. Bayswater. «Ich finde, er hat über viele Dinge sehr gesunde Ansichten.»
«Gesunde», echote Mrs. Harris und imitierte dann die Stimme des Diskussionsleiters. « worauf wie aus der Pistole geschossen die Antwort des würdigen Parlamentariers kam: Und dann redet er noch zehn Minuten lang. Und was sagt er? Was zu hoch steigt, muß herunter; was zu mager ist, muß ein bißchen Fett ansetzen; was zu fett ist, muß etwas schlanker werden. Schneidet den Bergen die Gipfel ab, füllt mit ihnen die Täler und lauft, so schnell ihr könnt, auf der Stelle! Haha! Er war so falsch wie seine Zähne. Habt ihr nicht gesehen, wie er jedesmal, wenn man ihm eine Frage stellte, die Augen verdrehte?»
«War etwas mit seinen Zähnen?» fragte Mrs. Butterfield, bei der der Groschen immer etwas spät fiel. «Ich fand sie sehr hübsch.»
«Zu hübsch.», höhnte Mrs. Harris. «Ein Gebiß! Wenn ich er wäre, würde ich mich vor keiner Fernsehkamera zeigen. Die sieht nämlich durch einen hindurch.»
Mr. Bayswater protestierte etwas steif. «Da Sie Labour sind, finden Sie natürlich...»
Mrs. Harris unterbrach ihn höhnisch. «Wer? Ich Labour? Nie im Leben! Die sind die Allerschlimmsten. Ich habe genug von ihnen gehört und gesehen. Mir reicht’s. Was tun sie denn für den Arbeiter? Sie haben keine Ahnung und sind weiter nichts als Heuchler. Ich habe meine eigene Partei. nenne ich sie. Wenn Vi und ich im Parlament wären, würden wir ihnen einiges sagen, nicht wahr, Vi?»
Mrs. Butterfields kleiner Mund wurde zu einem erschrockenen O in ihrem Mondgesicht, als sie sagte: «Oh, das würde ich nicht wagen.»
«Nun, ich würde es», sagte Mrs. Harris mit solcher Vehemenz, daß die rosa Seidenfransen an dem Lampenschirm sich bewegten. «Ich würde ihnen sagen, was an der Regierung verkehrt ist und wie das Land regiert werden müßte.»
Mr. Bayswater lächelte freundlich-nachsichtig, denn er mochte Mrs. Harris wirklich sehr gern, fand ihre Gesellschaft äußerst angenehm und genoß die Tee- und Fernsehabende bei ihr. «Ich wette, Sie würden es, Ada», sagte er. «Und vielleicht täte ihnen das sogar gut.»
Und da schlug die Uhr auf dem Kaminsims Dreiviertel.
Mr. Bayswater erhob sich, strich seine Jacke glatt, schob die Manschetten in die Ärmel und sagte: «Nun, meine Damen, ich danke Ihnen für einen sehr angenehmen Abend» und verabschiedete sich, wie es auch Mrs. Butterfield tat, nachdem das Geschirr abgewaschen war.
Mrs. Harris ging zu Bett, aber sie schlief lange nicht ein, denn sie dachte immer noch an die Worte Mr. Bayswaters, dessen Urteil und Verstand sie hochschätzte: «Ich wette, Sie würden es, Ada. Und vielleicht täte ihnen das sogar gut.» Und je mehr sie darüber nachdachte, desto richtiger erschien ihr ihr Slogan «Leben und leben lassen». Und wie es eben ist, wenn man vor sich hinträumt, begann sie den Gedanken weiterzuspinnen, während sie über all die Ungerechtigkeiten nachsann, deren es nicht nur in ihrem Leben, sondern im Leben jedes Menschen nur allzu viele gab; Ungerechtigkeiten, die sich mit gesundem Menschenverstand und gutem Willen leicht beseitigen ließen. Wie kam es, daß solche unehrlichen Kreaturen wie der Ehrenwerte Ronald Puckle es schafften, daß man sie ins englische Parlament
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