Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
das Programm mit dem Titel: »
«Was? Ach ja. Das habe ich gesehen. Ich hatte nichts Besseres zu tun. Saudumm, nicht wahr?»
«Ich möchte gern Ihre Meinung über den — wie heißt er doch? hören. Den, der das Gespräch immer wieder an sich riß. Den mit den Fischaugen und den falschen Zähnen.»
Sir Wilmot war leicht amüsiert, ohne recht zu wissen warum. Im Bett zu liegen und mit seiner Putzfrau über Politik zu sprechen, gefiel dem Snob in ihm. «Meinen Sie den Ehrenwerten Ronald Puckle, M. P.? Das ist ein Esel!»
«Was tut er dann in unserem Parlament?» fragte Mrs. Harris.
«Man wählt ihn eben. Er redet einen Haufen anderer Esel unter den Tisch, die dann für ihn stimmen.»
«So was», sagte Mrs. Harris. «Solch ein Gewäsch habe ich noch nie in meinem Leben gehört. Wenn man alles zusammenzählt, was er, wie er sagte, für das Land tun will, was hätte man dann zum Schluß? Nichts.»
Sir Wilmot grinste über Mrs. Harris’ schlaue Rechnung. Jedem Plus, das der Ehrenwerte Abgeordnete aus Marley Vale bot, folgte ein Minus, und die Endsumme war null. «So muß man’s machen, wenn man seinen Sitz im Parlament behalten will.»
«Nun, wenn ich das Land regieren würde, ich wüßte was zu sagen, und das wäre nicht so nichtiges Zeug.»
Es war mehr die Art, in der sich die kleine Mrs. Harris jetzt an ihren Besenstiel lehnte, als die Worte, die in Sir Wilmots Kopf Alarmglocken in Gang setzten. Spaß war Spaß. Aber eine lange und langweilige Tirade darüber anhören zu müssen, was verkehrt im Lande war, zumal wenn er sich nicht wohl fühlte und nicht entrinnen konnte, war etwas anderes. Es gab kein Diner und keine Gesellschaft, an denen er teilnahm, ohne daß ihn jemand beiseite nahm und ihm die Allheilmittel für die Nöte des modernen Englands in die Ohren trompetete.
«Ja, ja», sagte Sir Wilmot hastig. «Ich bin sicher, das würden Sie, aber im Augenblick...» Und da er fand, daß Aktionen lauter sprechen als Worte, lehnte er den Kopf zurück und schloß die Augen.
Doch es war zu spät, denn Mrs. Harris sah ihn überhaupt nicht mehr. Die heilige Johanna, die sich in jeder Frau verbirgt, war losgelassen und hielt den Besenstiel ein Stück von sich wie eine Fahnenstange und fuhr fort:
«Ich will Ihnen mal sagen, was ich ihnen sagen würde, damit sie endlich aufwachen. Leben und leben lassen! Sie wollen uns nicht leben lassen. Das ist es. Sie geben uns nie eine Chance, den Kopf über Wasser zu halten, ehe sie uns wieder hineinstoßen. Das Leben ist dafür da, gelebt zu werden. Aber vom ersten Atemzug, den wir tun, bis zum letzten müssen wir durch sie leiden.»
Sir Wilmot schlug die Augen wieder auf oder vielmehr, sie wurden ihm durch die Kombination von Verzweiflung und Triumph in dem Schrei «Leben und leben lassen», den er gehört hatte, geöffnet, und es erstaunte ihn nicht im geringsten, nicht mehr die ein wenig lächerliche und geschwätzige typische Londoner Putzfrau auf einer Rednertribüne zu sehen, sondern eine Person voll aufrichtiger Leidenschaft.
«Wer ist die Mehrheit im Lande? Die anständigen Armen, die nie genug Geld haben, um sich entspannen und das Leben ein bißchen genießen zu können. Wissen Sie, was an dem System verkehrt ist? Es ist nicht Labour, und es ist nicht Kapital, aber wir sind zwischen beiden eingezwängt, so daß wir immer im Hintertreffen bleiben. Wir gehen in die Läden, und von einer Woche zur anderen sind die Preise so gestiegen, daß das Geld, das wir in der Tasche haben, nicht mehr reicht. Gebt uns eine Chance, das Leben ein wenig zu genießen. Weiter wollen wir nichts.»
Sir Wilmot war seltsam gerührt und klug genug, sich zu fragen warum. War es die körperliche Schwäche, die Folge des Fiebers, das auszuschwitzen ihm gelungen war? Oder war etwas Wahres in der Vorstellung, der Stimme Millionen Namenloser zu lauschen, um die niemand sich scherte? Nicht die Armen und Getretenen, die ihre Sprecher und Organisationen hatten, die ihnen beistanden, sondern die riesigen Menschenströme nicht nur in England, nein in jedem Land und überall in der Welt, die, in der ewig ansteigenden Spirale von Löhnen und Preisen gefangen, nie genug hatten, um frei und freudig atmen zu können, und die zu einer viel schlimmeren Sklaverei verurteilt waren als zum Elend der Armut. Es war etwas Ergreifendes und Aufrüttelndes in diesem ersten angstvollen Schrei, der ihm noch in den Ohren hallte: «Leben und leben lassen.»
«So würde ich’s machen», sagte Mrs.
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