Ein kleines Stück vom Himmel nur
hegte auch der Kommandant diese Vermutung und hatte sie deshalb in sein Büro gebeten, um ihr die Nachricht schonend beizubringen. Daran konnte sie nichts mehr ändern, doch sie konnte es immerhin vermeiden, solche Spekulationen durch ihr Verhalten zu nähren. Nancy biss die Zähne zusammen und schritt â zumindest in der Ãffentlichkeit â hoch erhobenen Hauptes durch die Gegend und zeigte niemandem ihr gebrochenes Herz.
Es hätte ihr ohnehin nicht geholfen, ihren Schmerz mit jemandem zu teilen. Mac war verschollen, abgestürzt in einem Flugzeug über Frankreich, und kein tröstendes Wort konnte daran etwas ändern. Nancy, auf sich allein gestellt wie immer, machte ihren Schmerz mit sich ab, heimlich und still.
Als ihr Geburtstag nahte, verschwendete Nancy kaum einen Gedanken daran; sie hoffte bloÃ, dass Krystyna nicht irgendeine Ãberraschungsparty für sie arrangiert hatte. Der wäre sie wirklich nicht gewachsen. Wenn ein Haufen Leute hereingestürmt käme und Happy Birthday oder gar dieses dämliche polnische Lied anstimmen würde, würde sie wahrscheinlich zusammenbrechen. Doch es schien, als habe sich Krystyna an ihre Bitte gehalten. Niemand erwähnte den Geburtstag, und er verstrich wie jeder andere Tag. Gegen neun Uhr morgens wurde Nancy in einer Zubringer-Anson ausgeflogen, und als sie um halb sechs abends zurückkehrte, hatte sie zwei Spitfires und eine Beaufighter überführt und drei Pilotentransporte in einer Fairchild hinter sich gebracht. Völlig erschöpft ging sie in die Offiziersmesse. Sie hatte sich gerade mit einer Tasse Tee an einen der kleinen quadratischen Tische gesetzt, als der Lautsprecher zu knistern begann.
»Pilotin Kelly zur Einsatzzentrale, bitte!«
Nancys Stimmung sank. Sicher war es gut und schön, sehr beschäftigt zu sein, aber in ihrem momentanen Zustand wieder losfliegen zu müssen war wirklich ein bisschen viel; dennoch bedeutete der Aufruf zweifellos einen neuen Einsatz: Irgendein Flugzeug wurde plötzlich dringend gebraucht, und niemand auÃer ihr stand zur Verfügung, um es zu überführen. Der Einwand, dass ihr vor Müdigkeit am Steuer die Augen zufallen würden, wäre sinnlos. Der Einsatzleiter wüsste es besser: Das Adrenalin werde sie schon wach halten, solange sie in der Luft sei, und er würde ihr versprechen, sie nach Hause bringen zu lassen, sobald sie gelandet war.
Nancy steckte die Zigarette, die sie sich gerade hatte anzünden wollen, wieder zurück in die Schachtel und stopfte sie in ihre Tasche. Los, Mädchen! Du hast dir doch gewünscht, dass dir keine Zeit zum Nachdenken bleibt; dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen . Sie schleppte sich auf müden Beinen in Richtung Einsatzzentrale und überlegte, welche Aufgabe man ihr wohl zuweisen würde, hatte aber keine Ahnung, was sie dort tatsächlich erwartete. Sie öffnete die Tür und holte gleich darauf vor Ãberraschung tief Luft.
Eine massige, bärenähnliche Gestalt in der Uniform der USAAF stand am Fenster und grinste ihr zu. »Hallo, Nancy, Ãberraschung!«
»Mein Gott, Joe!«
»Jawohl. Höchstpersönlich. Ich will dir doch zum Geburtstag gratulieren.«
»Joe, das wäre doch nicht nötig gewesen!«
»Warum nicht? Freust du dich nicht, mich zu sehen?«
»Doch ⦠Ja â¦Â« Nancy fand keine Worte.
»Lasst euch durch mich nicht stören!« Whitey, der Einsatzleiter, grinste zufrieden. »Ich lasse euch beide mal ein paar Minuten allein. Falls das Telefon klingelt â ich bin gleich nebenan, im Büro vom Kommandanten.« Er zwinkerte Joe zu, sammelte ein paar Papiere ein und verlieà den Raum.
»Ein prima Kerl!«, kommentierte Joe.
»Wie hinterlistig!« Offenbar hatten sie gemeinsame Sache gemacht, er und Whitey, um sie unter einem Vorwand in die Einsatzzentrale zu locken. Möglicherweise ging die Sache noch weiter. Irgendwie musste Joes Ãberraschungsbesuch schlieÃlich in die Wege geleitet worden sein. Vielleicht war Krystyna daran beteiligt. Nancy konnte es sich nur zu gut vorstellen â ein Telefonanruf von Joe: »Ich bin Nancys Verlobter. Ich habe es so eingerichtet, dass ich sie an ihrem Geburtstag besuchen kann. Ich würde sie gern überraschen. Könnten Sie mir vielleicht dabei helfen?« Und Whitey: »Klar, überlassen Sie das ruhig mir! Ich sehe mal, was ich machen kann.«
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