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Ein kleines Stück vom Himmel nur

Ein kleines Stück vom Himmel nur

Titel: Ein kleines Stück vom Himmel nur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelia Carr
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Aber er war unter dem harten Panzer dahingeschmolzen, den er sich zugelegt hatte. Sie hatte ihn amüsiert und berührt, und er hatte es nicht übers Herz gebracht, sie so zurechtzuweisen, wie sie es eigentlich verdient hätte. Dabei war ihm nicht klar gewesen, wie gefährlich es war, einen Riss in seiner Rüstung zuzulassen. Unbemerkt war sie hineingeschlüpft und hatte es sich bei ihm gemütlich gemacht. Das war ihm erst aufgefallen, als er sich dabei ertappte, wie er nach ihr Ausschau hielt und sich darauf freute, sie wiederzusehen – und zu guter Letzt auch noch von ihr träumte. An dem Morgen, als er aufwachte und sich daran erinnerte, dass sie ihn im Schlaf besucht hatte, wusste er ganz sicher, dass Nancy Kelly mehr war als eine sympathische Schülerin, mehr als bloß ein weiteres hübsches Mädchen. Und das gefiel ihm überhaupt nicht.
    In einer Welt, in der Krieg und Verderbtheit herrschten, war Mac der ehrenhafteste Mensch, den man sich vorstellen konnte. Gefühle für eine andere Frau als Judy zu empfinden war für ihn weit ehrloser und unmoralischer, als es die zufälligen, raschen geschlechtlichen Begegnungen gewesen waren. Nach einem solchen Ausrutscher hatte er zwar Abscheu vor sich selbst empfunden, den Vorfall dann aber so schnell wie möglich wieder vergessen. Doch diesmal war es anders. Die Art und Weise, wie er an Nancy dachte, war für ihn Verrat in der schlimmsten Form.
    Judy war seine Frau. Die Tatsache, dass sie ihn seit fast zwei Jahren weder angelächelt noch berührt, noch überhaupt angeschaut hatte, spielte dabei keine Rolle. Er hatte ihr die Treue versprochen in guten wie in schlechten Zeiten. Und er liebte sie immer noch, auch wenn es ihm inzwischen schwerer fiel, sich an ihre Stimme zu erinnern und sich ihr Gesicht zu vergegenwärtigen. Er dachte jetzt an sie, wie sie an dem Tag ihrer Hochzeit ausgesehen hatte. Er konnte sich das Bild wie ein Puzzle Stück für Stück vor seinem geistigen Auge zusammensetzen: die Orangenblüte in ihrem Haar; ihre dunklen Augen, die hinter dem Spitzenschleier funkelten; ihre Lippen, die röter geschminkt waren, als er für nötig hielt – er bevorzugte ein natürliches Aussehen –; die Perlen an ihrem Hals; der Brautstrauß in Tropfenform aus tiefroten Rosen. Er konnte das Bild gerade noch zusammensetzen, doch das blieb es auch: ein Bild. Der unwirkliche Schnappschuss eines Mädchens, das es nicht mehr gab, und sein Hochzeitstag ein fernes Ereignis, den vielleicht irgendjemand anderes erlebt hatte, wenn er überhaupt stattgefunden hatte. Die Wirklichkeit, das war jetzt ein bewegungsloses, wachsbleiches Gesicht, auf dem der blutrote Lippenstift hässlich grell gewirkt hätte. Dichte Wimpern an bläulichen Lidern, ständig geschlossen wie die einer Schlafpuppe. Dunkle Haare auf einem weißen Kissen. Die Narben und Verletzungen des Unfalls waren längst verschwunden: Judy war die reglose Perfektion.
    Zu Anfang, als ihr Leben auf Messers Schneide stand, war er kaum von ihrer Bettkante gewichen. Er hatte ihre Hand gehalten und einen Gott angefleht, von dessen Existenz er gar nicht überzeugt war, sie nicht sterben zu lassen. Und seine Gebete waren erhört worden. Das Leben verließ Judys Körper nicht, und manchmal fragte er sich, ob er nicht auch daran Schuld trug; ob es nicht besser für sie gewesen wäre, wenn er für einen gnädigen Tod gebetet hätte.
    Â»Sie liegt da wie Dornröschen«, hatte ihre Mutter einmal gesagt, während ihr die Tränen über die Wangen liefen, und Mac musste sich abwenden, um den Zorn zu verbergen, der plötzlich in ihm emporwallte. Kein Prinz würde sie mit seinem Kuss zum Leben erwecken können, und selbst wenn … Er konnte im Geiste überdeutlich die Worte des behandelnden Arztes hören.
    Â»Es besteht die Chance, dass sie eines Tages wieder aus dem Koma aufwacht, wenn der Hirndruck nachlässt. Doch selbst wenn das geschieht, kann ich nicht garantieren, dass Ihre Frau wieder so sein wird, wie Sie sie kennen. Die lebenswichtigen Funktionen sind wahrscheinlich unwiderruflich geschädigt. Sie sollten sich darauf einstellen, dass Judy möglicherweise sowohl körperlich als auch geistig stark behindert sein könnte, Mr. Mackenzie.«
    Mac hatte gespürt, wie sich sein Magen zusammenzog. Seine geliebte Judy. Mein Gott, Judy war herzlich und fröhlich gewesen, und sie

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