Ein König für Deutschland
wie die Monarchie verfolgte; der Beitrag selber war dann aber beeindruckend ausstaffiert mit Bildern von deutschen Schlössern, Filmausschnitten von Krönungszeremonien und dergleichen, ehe sich Simon schließlich selbst auf dem Bildschirm erblickte: ernsten Blicks und mit staatstragender Würde. Wenn er daran zurückdachte, wie er sich in diesem Augenblick gefühlt hatte, musste er zugeben, dass der Kameramann etwas von seinem Handwerk verstand.
Wer auch etwas von seinem Handwerk verstand, war derjenige, der das Interview geschnitten hatte: Nach dem Moment, in dem der Interviewer ihn mit »Guten Abend, Königliche Hoheit« begrüßte, war Simons Entgegnung herausgeschnitten worden, und zwar so geschickt, dass man keinen Übergang bemerkte.
Simon fühlte, wie er blass wurde. Wie peinlich! Nun würde alle Welt glauben, dass er sich tatsächlich für einen Prinzen hielt!
Die jungen Leute nahmen daran allerdings keinen Anstoß.
»Sie kommen großartig rüber«, erklärte Alex. »Das Fernsehen wird uns die Bude einrennen, warten Sie’s ab.«
»Das war wie aus einer anderen Welt«, hauchte Sirona.
»Cool gemacht«, lobte Root.
Simon versuchte zu erklären, was ihm daran unangenehm war. Dass die Passage, in der er die Anrede richtigstellte, fehlte und er auf diese Weise anmaßender erschien, als er war.
Allgemeines und verständnisloses Kopfschütteln. »Ich glaube, da machen Sie sich unnötige Sorgen«, meinte Leo.
Simon war sich da nicht so sicher, aber nun war es schon passiert. Es würde ihm ohnehin nichts anderes übrig bleiben, als mit den Folgen zu leben, wie auch immer sie aussehen mochten.
Alex ließ den mitgebrachten Champagner knallen, goss ein, und genau in dem Moment, als er Simon das erste Glas reichte, klingelte es an der Wohnungstür.
Es war Frau Volkers. »Ich habe gerade die Landesschau gesehen«, erklärte sie mit durchdringendem Blick.
Also ging es schon los. »Dazu kann ich nur sagen, dass –«, begann Simon, aber sie unterbrach ihn streng.
»Ich habe vor meiner Heirat als Bühnenschneiderin gearbeitet. Zuerst beim Theater, dann beim Film. Ich war Schneiderassistentin bei den Dreharbeiten zu allen drei ›Sissi‹-Filmen – mit anderen Worten, ich habe die meisten Kostüme genäht.« Sie faltete die Hände. »Ich wäre Ihnen gerne behilflich, eine angemessene königliche Garderobe zusammenzustellen.«
Sie betonte das Wort »angemessen« in einer Weise, die Simon das Gefühl vermittelte, bei dem Interview Lumpen getragen zu haben.
Die Augen seiner Nachbarin strahlten einen Glanz aus, wie Simon ihn bei ihr noch nie gesehen hatte. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Doch da war schon Alex neben ihm und erklärte mit dem herzlichsten Lächeln der Welt: »Aber gern. Kommen Sie doch herein, Frau …?«
»Volkers«, sagte sie und neigte den Kopf, fast so, als verbeuge sie sich vor einem Höhergestellten. »Edeltraud Volkers.«
71 http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II._(Deutsches_Reich)#Erster_Weltkrieg
72 Lothar Machtan, »Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen«, Berlin 2008
KAPITEL 35
A lex behielt recht: Das Telefon stand nicht mehr still. Auf einmal wollte jeder Fernsehsender ein Gespräch mit Simon König.
Das nächste Interview fand in Stuttgart statt, auf Schloss Solitude. Da das Wetter hervorragend war, platzierte man Simon auf dem umlaufenden Balkon, und zwar so, dass die Kamera hinter ihm genau auf die Solitudeallee blickte, die über 13 Kilometer lange Straße, die das hügelige Land schnurgerade durchschnitt.
»Herzog Karl Eugen von Württemberg hat das Schloss erbauen lassen, vor dem wir heute sitzen«, begann der Interviewer, ein in der Region ziemlich bekannter Fernsehjournalist mit sanfter Stimme und wohlwollenden Bewegungen. »Von 1763 bis 1769 dauerten die Arbeiten, die, wie wir heute wissen, die finanziellen Mittel des Herzogtums überforderten. Und dabei war die Solitude nur als Jagd- und Repräsentationsschloss gedacht.« Er sah Simon an. »Angenommen, es käme tatsächlich so, wie Ihre Partei sich das wünscht, und in Deutschland würde nächstes Jahr die Monarchie wieder eingeführt, mit Ihnen an der Spitze – wo würden Sie, wo würde der deutsche König denn dann überhaupt residieren?«
Früher hätte Simon daraufhin erklärt, dass er das für eine der unwichtigsten Fragen hielt, mit denen man sich in diesem Zusammenhang beschäftigen konnte, aber er hatte inzwischen begriffen, dass es darauf nicht ankam. Die
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