Ein König für Deutschland
noch einmal. »Schon das Interview in dieser Zeitschrift war mir im Grunde nicht recht. Und jetzt kommen Sie mit dem Fernsehen daher. Das ist ja noch mal eine ganz andere Kategorie.«
»Die Landesschau? Ach, kommen Sie. Die schaut eh niemand. Öffentlich-rechtliche Beschäftigungstherapie …« Alex wand sich, gestand schließlich: »Also, es ist so – ich schulde dem Produzenten noch einen Gefallen.«
»Einen Gefallen.«
»Er hat mir mal erlaubt, mich für meine Onlinewerbung aus seinem Videoarchiv zu bedienen. Das hat mir damals wahrscheinlich den Hals gerettet, um ehrlich zu sein.«
»Könnte es nicht ein anderer Gefallen sein?«
Alex hob die Schultern. Lächelte entwaffnend.
Simon seufzte. »Also, meinetwegen. Dieses eine Mal noch.«
***
So fuhren sie zwei Tage später auf der Autobahn dahin, und wann immer Simon wissen wollte, wohin um alles in der Welt Alex ihn zu bringen vorhabe, sagte dieser nur: »Warten Sie ab; es wird Ihnen gefallen.«
Nach dem dritten Mal fragte Simon nicht mehr, war sich aber sicher, dass es ihm nicht gefallen würde.
Sie verließen die Autobahn und fuhren über eine schmale, gewundene Landstraße.
Dann verließen sie die Landstraße und fuhren einen holprigen Waldweg entlang.
Dann verließen sie den Waldweg und rollten über knisternden, knackenden Schotter durch ein verwittertes Tor.
Und hielten vor einem schier unübersehbar großen Gebäude.
»Ein König«, erklärte Alex, als er dem verdutzten Simon den Wagenschlag öffnete, »braucht natürlich ein Schloss.«
»Wo sind wir?«, wollte Simon wissen.
»Auf Schloss Reiserstein, urkundlich erstmals erwähnt 1286, im sechzehnten Jahrhundert Sitz der Fürsten von Fresenhagen, heute am ehesten bekannt für seinen prachtvoll ausgeschmückten Rittersaal«, rasselte Alex herunter. »Im Übrigen seit 1991 im Privatbesitz des Industriellen Heinz Stiekel.«
Simon sah an der Ringmauer hoch, die Schießkammern und Rundvorsprünge aufwies. 1286, das hieß, die Burg musste in der Stauferzeit erbaut und später in barockem Stil umgebaut worden sein.
»Nie davon gehört«, bekannte er.
Alex nickte. »Das Schloss ist eher unbekannt. Schade, denn es ist heute prachtvoll hergerichtet. Praktisch bewohnbar.«
»Und woher kennen Sie es?«
»Über Herrn Stiekel.«
Stiekel? Das sagte Simon irgendwas. Stellte irgendwelche Werkzeugmaschinen her, oder? Jedenfalls war er dem Namen in der Zeitung schon öfters begegnet, in der Regel im Wirtschaftsteil. »Und woher kennen Sie den?«
Alex hob die Schultern. »Ich habe eine Riesenadressdatei von solchen Leuten. Ich kenne jeden, der in Deutschland eine Burgoder ein Schloss besitzt. Mit denen habe ich praktisch ständig zu tun.«
»Wegen Ihrer Spiele?«, dämmerte es Simon.
»Genau. Auch Ritter brauchen Schlösser. Oder zumindest Burgen.« Er wies auf das Hauptgebäude. »Hier gibt es sogar noch ein richtiges altes Verlies, komplett mit Gittern und schweren Riegeln – grandios!«
Als sie das Bauwerk betraten, stellte Simon fest, dass das Fernsehteam bereits da war, schon seit Stunden, wie es aussah. Überall liefen Kabel, standen Stühle, Kühlboxen mit Getränken und Geräte mit zahlreichen Reglern und Knöpfen daran. Im Rittersaal tauchte ein halbes Dutzend Scheinwerfer alles in taghelles Licht, sodass die alten Farben der Wand- und Deckenmalereien in geradezu die Sinne verwirrendem Glanz erstrahlten.
Der Regisseur, ein zur Kugelform neigender Mann in einer speckigen Lederjacke, strahlte auch. »Das werden wunderbare Bilder, ganz wunderbare Bilder«, erklärte er, während er Simon die Hand schüttelte. »Ich freue mich jetzt schon. Schön, dass Sie kommen konnten.«
Simon murmelte etwas dahingehend, dass die Freude ganz auf seiner Seite sei, aber nicht allzu laut, denn eigentlich war es gelogen. Freude? Er würde sich hier endgültig zum Affen machen, das war es, was ihm bevorstand.
Die Bühne dafür war bereitet. Im Kamin brannte ein Feuer, davor hatte man zwei edel aussehende, antike Sessel aufgestellt und in einem weiten Kreis darum herum mehrere Kameras, noch mehr Scheinwerfer und allerlei durch Kabel miteinander verbundene Gerätschaften.
Ein Riese mit einem beinahe kahl geschorenen Kopf und einem modischen Dreitagebart – tatsächlich unterschieden sich sein Bart und sein Kopfhaar von der Länge her praktisch überhaupt nicht – kam auf Simon zu, reichte ihm die Hand. »Ich werde Sie nachher interviewen, wenn Ihnen das recht ist«, sprudelte er hervor. »Brauchen Sie noch
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