Ein König für Deutschland
irgendwas? Einen Kaffee? Was zu essen? Wir haben Sandwiches mit, wenn Sie mögen.«
Simon lehnte dankend ab.
»Okay, dann darf ich Sie bitten, mit meiner Kollegin hier in die Maske zu gehen? Ist leider nötig für Fernsehaufnahmen aller Art.« Er winkte einer vierschrötigen Frau, die neben ihm wie eine Zwergin wirkte.
Nach einer halben Stunde voller Puder, Haarspray und anderer Make-up-Maßnahmen saß Simon in dem prächtigeren der beiden Sessel und fühlte sich wie der Sonnenkönig höchstpersönlich. Mehr parfümiert und hergerichtet konnte Ludwig XIV. auch nicht gewesen sein.
Und wenn er ganz ehrlich war: Das fühlte sich gar nicht so schlecht an.
Der Riese mit dem Dreitagebart saß auf dem anderen Sessel. »Wir sprechen heute mit Simon König, dem Spitzenkandidaten der VWM, der Volksbewegung zur Wiedereinführung der Monarchie in Deutschland«, sagte er an die Kamera gewandt, über der das rote Lämpchen leuchtete. »Ginge es nach dieser Partei, würde er als Simon I. der neue König von Deutschland werden.« Er wandte sich Simon zu. »Guten Abend, Königliche Hoheit.«
Simon schüttelte behutsam den Kopf. »Aktuell einfach Herr König. ›Königliche Hoheit‹ wäre die Anrede für einen Prinzen. Das bin ich ja nicht. Ich heiße nur zufällig König mit Nachnamen.«
Der Interviewer hielt einen Moment inne, als müsse er das verarbeiten, dann sah er Simon an und begann, ohne auf den Einwand zu reagieren, mit seinem Interview.
»Der letzte deutsche Monarch war Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen. Er bestieg den Thron im Jahre 1888, auch als das ›Dreikaiserjahr‹ bezeichnet, regierte bis zum Jahr 1918 und dankte nach dem verlorenen Krieg ab. Müsste man, gesetzt den Fall, man wollte die Monarchie in Deutschland wieder einführen, nicht an diese Tradition anknüpfen?«
Simon hob die Augenbrauen auf eine Weise, die seiner Erfahrung nach einschüchternd aussah, und das sicher nicht nur in Klassenzimmern. »Wieso müsste man das? Wo steht das geschrieben?«
»Nun, die traditionellen deutschen Herrscherhäuser sind nunmal die Hohenzollern, Wittelsbacher, Wettiner, Welfen und so weiter …«
»Richtig, aber die hatten alle ihre Zeit. Und diese Zeit ist vorüber.«
»Das heißt, Sie wollen die Monarchie einführen, aber sozusagen eine neue Dynastie aus dem Nichts heraus begründen? Gewissermaßen eine Tradition ohne Tradition schaffen?«
Simon legte die Hände übereinander, um der Versuchung zu widerstehen, den Zeigefinger dozierend zu heben. »Natürlich kann man eine Tradition nicht schaffen. Man kann nur die Grundlagen dafür legen, dass sie entsteht – im Lauf der Zeit, wie das Traditionen nun einmal so an sich haben. Aber was würde es uns denn bringen, an Traditionen anzuknüpfen, die sich nicht bewährt haben?«
»Haben sie sich denn nicht bewährt?«
»Das steht außer Frage. Gerade Kaiser Wilhelm II. dürfte mehr als jeder andere dazu beigetragen haben, die damalige Monarchie in Deutschland ihrer Unterstützung im Volk zu berauben. Nicht, dass er bösen Willens gewesen wäre – das war er bestimmt nicht: Er konnte es eben nicht besser. Tatsächlich muss man aus heutiger Sicht sagen, dass er die Rolle, die er hätte spielen müssen, zu keinem Zeitpunkt befriedigend ausgefüllt hat, in Friedenszeiten nicht und in Kriegszeiten erst recht nicht.«
»Sie machen ihm aber nicht zum Vorwurf, dass Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hat, oder?«
»Nein, das wäre Unsinn. Er hat allerdings ohne Zweifel wesentlich dazu beigetragen, dass der Krieg überhaupt ausgebrochen ist 71 . Der Erste Weltkrieg hat eine lange Vorgeschichte, die man keineswegs auf das Attentat von Sarajevo und die daraufhin abrollenden Bündnismechanismen reduzieren kann: Man muss sich vielmehr fragen, wieso diese Bündnisse überhaupt so entstehen konnten. Da hat es jahrzehntelang an Voraussicht und Realismus gefehlt. Ein Zeichen dafür, dass die damals regierendenFürsten der Lebenswirklichkeit ihres Volkes gefährlich weit entrückt waren.«
»Gut, aber angenommen, Sie würden König von Deutschland – wie würden Sie denn verhindern wollen, dass Ihnen oder Ihren Nachfahren ähnliche Fehler passieren? Ist das alles nicht ein Argument für die Demokratie?«
Simon spürte, wie er wieder ins Schwimmen kam. Natürlich war das ein Argument für die Demokratie. In genau diesem Sinne hätte man in einer Unterrichtsstunde über deutsche Geschichte weitergemacht.
Wobei das allerdings eine zu einfache Sicht
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