Ein König für Deutschland
der Dinge war. Sozusagen die Light-Version für Gymnasiasten.
»Sie konstruieren da einen Gegensatz zwischen Monarchie und Demokratie, der so nicht besteht«, begann Simon bedächtig und unsicher, wohin ihn das argumentativ führen würde. »Und der im Grunde für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, an deren Spitze nach wie vor Monarchen stehen, eine Beleidigung ist. Können wir uns darauf einigen? Dass auch Dänemark und Belgien demokratische Staaten sind?«
»Ja, natürlich«, beeilte sich der Interviewer zu versichern. »Aber vielleicht liegt der Fall, was Deutschland betrifft, doch etwas anders?«
»Er liegt insofern anders, als die deutschen Monarchen vor der Herausforderung der Geschichte versagt haben. Das meinte ich damit, dass die Zeit der früheren Herrscherdynastien vorbei und ein vollständiger Neuanfang nötig ist. Nicht der Ausgang des Ersten Weltkriegs – die Niederlage Deutschlands also – war der entscheidende Faktor, sondern, dass die damals Regierenden sich demokratischen Reformen verweigert haben. Hätten sie rechtzeitig einer Entwicklung hin zur Demokratie Raum gegeben, hätte die Monarchie in Deutschland wahrscheinlich überlebt 72 .«
»Ein verblüffender Gedanke.«
»Das wäre ziemlich sicher noch bis zum Jahr 1917 möglichgewesen. Stattdessen haben die Herrscher nur zäh ihre Privilegien verteidigt, ohne zu sehen, dass sie damit ihren eigenen Untergang herbeiführten. Derselbe Realitätsverlust, der auch die Art und Weise kennzeichnet, wie der Erste Weltkrieg militärisch geführt wurde – mit illusorischen Vorstellungen über die eigenen Möglichkeiten und ohne jedes Bewusstsein für das Leid der Soldaten. Ohne diesen Realitätsverlust wäre dieser Krieg vielleicht nie begonnen, ganz sicher aber eher beendet worden.«
»Faszinierend«, sagte der Interviewer. »Wie wäre die Geschichte Deutschlands dann weitergegangen?«
»Es hätte zunächst einmal die Weimarer Republik nie gegeben«, zählte Simon auf. Er fühlte sich herausgefordert. Die Scheinwerfer blendeten. »Dadurch, dass die deutsche Demokratie sich langsamer entwickelt hätte – dass es ein organischer Übergang geworden wäre anstatt eines radikalen Umbruchs –, hätte es vermutlich auch die demokratiefeindlichen Strömungen der 20er-Jahre nicht gegeben; ja, womöglich wäre auch Hitler überhaupt nicht möglich gewesen.«
Simon hielt inne. Ein erstaunlicher Gedanke. Und wie er ihm gekommen war! Wie von selbst, beim Sprechen sozusagen!
»Denken Sie wirklich?« Auch sein Gegenüber wirkte verblüfft.
Simon nickte mit mehr Entschiedenheit, als er verspürte. »Man kann durchaus sagen«, erklärte er, langsam und bedächtig, weil er erst eine überaus vage Idee hatte, was sich dazu sagen ließ – seltsam, das alles; gerade so, als sauge der fragende Blick des anderen an ihm, fördere Gedanken aus ihm zutage, von denen er selber nicht gewusst hatte, dass er sie besaß! –, »dass Hitler sozusagen eine Stelle besetzte, die im Gefühl der Bevölkerung vakant war: die des Kaisers nämlich. Natürlich füllte Hitler sie auf eine geradezu perverse Weise aus, aber man muss sich schon die Frage stellen, ob er die Chance dazu gehabt hätte, hätte es 1933 in Deutschland einen Monarchen gegeben. Ob die Dinge dann so hätten kommen können. Ich denke, nein.«
Der Mann mit dem Dreitagebart sah Simon an – erstaunt, verdutzt, mit einem Blick, in dem Simon beinahe etwas wie Bewunderung zu erkennen glaubte.
»Königliche Hoheit«, sagte er dann, »vielen Dank für das Gespräch.«
***
Wann das Interview ausgestrahlt werden würde, war im Voraus schwer zu sagen, erklärte der Regisseur; das hänge von den jeweiligen tagesaktuellen Ereignissen ab, über die vorrangig berichtet werden musste. Man werde ihn, Simon, anrufen.
Das passierte nicht; stattdessen rief Alex am Dienstag der darauffolgenden Woche an, ganz aufgeregt: Heute Abend käme das Interview! Sie seien alle schon auf dem Weg zu ihm, brächten einen Fernseher mit und eine Flasche Champagner und dies und das, er bräuchte sich keine Sorgen zu machen!
Simon wusste nicht, ob er sich über den Überfall freuen sollte oder nicht, aber als die jungen Leute schließlich ankamen, gefiel es ihm doch, Leben im Haus zu haben. Die Stille der vergangenen Tage hatte schon begonnen, an ihm zu zehren.
Es war der zweite Beitrag der Sendung, die um 19 Uhr 45 begann. Die Moderatorin machte sich in ihrer Ansage ein wenig lustig über die Partei, die ein so antiquiertes Ziel
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