Ein König für Deutschland
Stuhl wieder nach vorn, beugte sich vor, legte die Unterarme auf den Tisch und blickte Simon ernst an. »Ich glaube das nicht«, erklärte er. »Ich glaube nicht, dass er solche Hintergedanken hat. Ich habe einen Riecher für Leute, die nicht um des Spiels willen spielen, und Herr Stiekel ist nicht so jemand.«
Sein Blick wanderte in eine ungewisse Ferne, und seine Augen bekamen einen träumerischen Glanz. »Aber schade ist es schon, dass irgendwann die Wahlen sind. Wirklich jammerschade.«
Simon musterte den vierschrötigen jungen Mann verwundert. In diesem Augenblick war mit Händen zu greifen, dass er das alles am liebsten einfach immer so weitergetrieben hätte.
***
»Ein toller Trick, den Sie sich da ausgedacht haben«, meinte der Journalist, während die Techniker noch damit beschäftigt waren, die winzigen Mikrofone an ihnen zu befestigen. »Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen, meine ich. Kompliment.«
Simon sagte nichts. Er hatte den Namen seines Gegenübers nicht genau verstanden, erinnerte sich nur, dass der dunkelhaarige Mann mit dem eindringlichen Blick als berühmt galt. Er erinnerte sich auch, das Gesicht schon einmal gesehen zu haben, bloß der Name, wie gesagt, der wollte ihm einfach nicht einfallen.
Peinlich, aber nicht zu ändern. Und zum Glück für das bevorstehende Interview nicht relevant.
So sahen seine Tage inzwischen aus: Seine Ruhe hatte er lediglich morgens; da ließ man ihn schlafen, solange er wollte, und servierte ihm sein Frühstück in seinen »Gemächern«, wie man dazu sagte. Dann folgten Fototermine, Zeitungsinterviews, Gespräche, ein Mittagessen gemeinsam mit den jungen Leuten, dieseinen Hofstaat spielten und sich bei alldem fabelhaft zu amüsieren schienen. Der Nachmittag gehörte meist den Fernsehleuten, die gar nicht genug davon bekamen, zu filmen, wie er über den Schlosshof oder durch die optisch beeindruckend herausgeputzten Säle und Flure schritt, und ihn zu allen Fragen der Zeitgeschichte zu interviewen.
Ein toller Trick? Nun, wenn sein Gegenüber das ernsthaft glaubte, war es das Beste, ihn in diesem Glauben zu lassen.
Wobei, was hatte Alex ihm erzählt? Irgendeiner der altgedienten Politiker in Berlin, ein Parteivorsitzender oder Generalsekretär, Urgestein auf jeden Fall, habe im Rahmen eines Interviews gespottet über »diese Leute, die jetzt den Kaiser Wilhelm wiederham’ wollen«.
Doch. Das war kein Respekt, durchaus nicht – aber Aufmerksamkeit allemal.
Nach ein paar Minuten Vorgeplänkel, in denen mehr oder weniger wiedergekäut wurde, was Simon schon unzählige Male gefragt worden war, wollte der Journalist wissen, was denn Simons zentrales Anliegen sei, solle er tatsächlich König werden. Und er musterte ihn dabei auf eine Weise, die Simon an die vielen Diskussionen erinnerte, die er mit Bernd geführt hatte: Der hatte ihn irgendwann auch immer so angeschaut. So … fundamentalskeptisch .
Vielleicht war das die Gelegenheit, eine Idee vorzustellen, die ihm schon seit Jahren im Kopf herumging.
»Mein zentrales Anliegen«, erklärte Simon also kühn, »wäre eine Bildungsreform, die diesen Namen wirklich verdient.«
Der andere neigte in mildem Erstaunen das Haupt. »Das überrascht. Nichts Außenpolitisches? Wirtschaftspolitisches? Das sind doch gewöhnlich die zentralen Gebiete normaler Politik.«
»Dann missversteht die normale Politik, wie die Welt funktioniert.« Simon faltete die Hände. »Es kann nichts Zentraleres geben als das, was sich in den Köpfen der Menschen abspielt. Und es ist die Bildung, die hierfür wesentlich ist. Das wird verkannt. Ihre Frage verrät, dass auch Sie die Bedeutung von Bildungspolitik verkennen. Das ist nicht ein Anhängsel, dasirgendwie nötig, aber mit dem Ausgeben von ein paar Millionen Euro abgehakt ist. In einem ressourcenarmen, hochentwickelten Land wie Deutschland ist es das Fundament von allem, was in die Zukunft gerichtet ist.«
Ein Anflug von Ärger war über das Gesicht seines Gegenübers gehuscht wie ein Schatten, als Simon ihn direkt angesprochen hatte. »Starke Worte, denen man nicht wirklich widersprechen kann.« Seine Augen verengten sich leicht, bekamen etwas Lauerndes. »Die Frage ist natürlich, wie das bei Ihnen konkret aussehen würde.«
Simon lehnte sich zurück. Ob Bernd dieses Interview verfolgte? Er würde die Argumente wiedererkennen.
»Nun, wie sieht Bildung seit ewigen Zeiten aus? Man schickt Sie in eine Schule, wo Sie, was ein bestimmtes Fach anbelangt,
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