Ein König für Deutschland
Stille, als sei die Zeitselber stehen geblieben. Die beiden standen nur da, sahen sich an, und Leo begriff, dass dies ein sehr, sehr privater Moment war, der ihn nichts anging. Er schlüpfte unauffällig hinter Simon aus dessen Gemächern, trat leise in den Schatten und wartete, was geschehen würde.
»Aber …«, begann Simon schließlich, um im nächsten Moment den Kopf zu schütteln, die Tür weit zu öffnen und zu sagen: »Komm doch herein.«
Die Frau schritt an Dirk und Leo vorbei, ohne sie zu beachten, ging auf Simon zu, folgte ihm in das Zimmer dahinter, dann schloss sich die Tür hinter den beiden.
Leo atmete aus und kehrte zu Dirk zurück, der mit großen Augen dasaß.
»Wir lassen niemanden passieren«, ordnete Leo leise an, »und wir stellen keine Anrufe durch. Nicht, solange diese Tür geschlossen ist.«
Sie sollte sich an diesem Tag nicht wieder öffnen.
KAPITEL 38
F rühstück im Bett«, sagte Helene und räkelte sich.
»Wann hatte ich das das letzte Mal?«
»Ich hatte das zuletzt auf unserer Hochzeitsreise«, meinte Simon. »In dem Hotel in Athen.«
Sie nickte. »In dem man kein Fenster aufmachen konnte, weil es draußen schrecklich laut war und nach Abgasen stank. Da ist es hier deutlich besser.« Sie blickte verträumt zu den weit geöffneten Fensterflügeln hinüber, die auf den Balkon hinausführten. Man hörte Stimmen, das Klappern irgendwelcher Gerätschaften, aber auch Vogelgezwitscher. »Ein Schloss eben.«
Sie wirkte heute Morgen zehn Jahre jünger als gestern. Das Licht fiel in breiten Bahnen ins Zimmer. Draußen war ein herrlicher Tag, und sie hatten alle Zeit der Welt.
Zumindest bis zu der Pressekonferenz heute Nachmittag.
Helene nahm eines der winzigen Marmeladengläschen in die Hand und versuchte, die Beschriftung darauf zu entziffern. »Ich brauche, glaube ich, doch meine Brille …« Sie griff zum Nachttisch, zog an der Schublade, aber die ließ sich nicht öffnen. »Was ist denn jetzt?«
Simon holte ihre Brille aus der Schublade auf seiner Seite. »Hier. Die Schublade da ist nur Attrappe. Die Nachttische sind Theatermöbel, nur der auf meiner Seite lässt sich öffnen.«
Helene nahm die Brille mit einem Gesichtsausdruck äußerster Verwunderung entgegen. »Theatermöbel?«
»Das ganze Schloss ist voll davon. Schränke, deren Türen sich nicht öffnen lassen; Bilderrahmen, die goldverziert und schwer aussehen, aber nur aus dünnem Plastik bestehen; Kerzenhalter aus versilbertem Holz; und so weiter …«
Helene sah auf das Tablett zwischen ihnen hinab. »Und das Essen? Ist das wenigstens echt?«
»Das hoffe ich doch.«
»Bizarr«, meinte sie.
Simon nickte. »Das kann man wohl sagen.«
Bizarr war gar kein Ausdruck für die ganze Situation. Nie im Leben hätte Simon erwartet, einen Morgen wie diesen zu erleben. In einem richtigen Schloss zu erwachen, seine verloren geglaubte Frau wieder an seiner Seite …
Der gestrige Abend kam ihm in der Erinnerung vor, als habe er Monate gedauert. Sie hatten geredet, endlos. Sich gestritten. Sich wieder versöhnt, um über einen anderen Punkt erneut in Zank zu geraten. Sie hatten heftig debattiert, stundenlang, wie es ihm schien, und dabei mehr als einmal aneinander vorbeigeredet. Danach hatten sie einander erzählt, was in den letzten zwanzig Jahren gewesen war. Helene hatte es nicht fassen können, dass er nach ihr nie wieder eine andere Frau gehabt hatte.
»Ich wollte keine andere«, hatte Simon erklärt.
Worauf sie ihn skeptisch angeblickt und gemeint hatte: »Ich weiß nicht, ob ich das glauben soll.«
Er hatte sie nicht nach anderen Männern gefragt. Das wollte er nicht wissen. Das war ihre Sache, und nach dem, was geschehen war, auch ihr Recht.
Irgendwann, spät in der Nacht, hatte sie gesagt: »Zeit, dass ich gehe.«
»Wohin?«, hatte er gefragt.
»Ich habe ein Hotelzimmer, unten im Dorf.« Das hatte sie gesagt, und dann hatte sie gewartet. Er hätte es beinahe nicht bemerkt. Er war schon drauf und dran gewesen, sie mit höflichem Bedauern zu verabschieden, ehe ihm in einer Art Verzweiflung die Frage entschlüpfte: »Willst du nicht einfach bleiben?«
Danach hatten sie nicht mehr geredet …
Simon bemerkte, wie Helene ihn über den Rand ihrer Tasse hinweg betrachtete. »Was ist?«, fragte er.
»König Simon«, sagte sie und setzte die Tasse ab. »Ich frage mich immer noch, wie du auf diese Idee gekommen bist.«
»Bin ich gar nicht«, bekannte Simon. »Es hat sich so ergeben.«
Sie schmunzelte skeptisch. »Ich
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