Ein König für Deutschland
mindestens ein Jahr lang einem einzigen Lehrer ausgeliefert sind, der unterrichtet, was er will, und die Noten gibt, die er will.«
»Bestimmt nicht der Lehrplan, was unterrichtet wird?«
»Der Lehrplan sagt, was er unterrichten soll . Was ein Lehrer tatsächlich tut, wird dagegen nicht überprüft.«
»Und was wollen Sie daran ändern? Doch nicht etwa Aufpasser in alle Schulklassen setzen?«
Simon schüttelte den Kopf. »Unsinn. Das würde nichts bringen. Nein, meine Reform besteht aus zwei grundlegenden Neuordnungen. Die erste bestünde darin, dass Unterricht und Prüfungen völlig voneinander getrennt werden – so, wie es in Fahrschulen und dergleichen schon lange üblich ist. Die normalen Lehrer würden künftig nur noch unterrichten, während für die Abnahme von Prüfungen andere zuständig sind. Die Prüfungen wären so zu gestalten, dass der Ablauf der Schuljahre keine Rolle mehr spielt. Idealerweise wird es so sein, dass Sie, um das Abitur zu erwerben, eine festgelegte Abfolge von Prüfungen in bestimmten Fächern bestehen müssen – und zwar egal, wann. Sie melden sich zu einer Prüfung dann an, wenn Sie das Gefühl haben, darauf vorbereitet zu sein.«
»Damit verlangen Sie den jungen Leuten aber viel ab. ImGrunde haben Sie vor, den heutzutage ohnehin schon hohen Druck, der auf ihnen lastet, noch zu erhöhen, indem Sie sie dazu zwingen, ständig schwerwiegende Entscheidungen zu treffen.«
»Abgesehen davon, dass auch Entscheidungen zu treffen etwas ist, das man nicht früh genug anfangen kann zu lernen«, entgegnete Simon, »wären das keine schwerwiegenden Entscheidungen. Denn natürlich wird man Prüfungen wiederholen können. Ich sehe nicht, was dagegen spräche, sie beliebig oft wiederholen zu dürfen. Auf diese Weise könnte der Begabte regelrecht zum Abitur oder einem anderen Abschluss rasen , während der weniger Begabte denselben Weg eben langsamer zurücklegt, Stück um Stück, in seinem eigenen Tempo. Das wird den Druck nicht erhöhen, sondern auf ein vernünftiges Maß senken. Ich weiß, wovon ich spreche.«
Der Journalist lächelte maliziös. »Sie spielen auf Ihre eigenen Erfahrungen als Lehrer an.«
»Natürlich. Sehen Sie, das Grundproblem der Schule in ihrer heutigen Form ist, dass die eine Hälfte der Schüler einer Klasse in fortwährendem Stress lebt, weil ihnen alles zu schnell geht, und die andere Hälfte in Langweile versinkt, weil ihnen alles zu langsam geht. Kein Wunder, dass man mit vorwiegend unguten Gefühlen an Schule denkt. Aber das müsste nicht sein. Worauf es ankommt, ist doch nur, was man nachher weiß und verstanden hat, nicht, wie viel Zeit man dafür gebraucht hat.«
Simons Gegenüber nickte. Es lag Ungeduld darin; offenbar gefiel ihm das Thema eher nicht. »Sie sprachen vorhin von zwei grundlegenden Neuordnungen. Was wäre die zweite?«
»Die zweite Neuordnung«, erklärte Simon, »besteht darin, dass Schüler künftig den Unterricht besuchen können, wann sie wollen und bei welchem Lehrer sie wollen.«
Die Augenbrauen des anderen gingen hoch. » Wann sie wollen? Ich fürchte, wenn Sie das Schülern überlassen, werden sie niemals irgendeinen Unterricht besuchen.«
»Wieso?«, gab Simon zurück. »Das erlebe ich anders. Wenn sich junge Leute für etwas interessieren – Computer zumBeispiel –, dann kriegen sie überhaupt nicht genug davon, mehr darüber zu lernen.«
»Das mag auf das Thema Computer zutreffen, aber ich wage zu bezweifeln, dass es auf, sagen wir, Latein zutrifft.«
»Unterschätzen Sie die jungen Leute nicht«, mahnte Simon. »Wenn ihnen klar ist, dass sie das brauchen – und wohlgemerkt, wir sprechen von Kindern und Jugendlichen, die das Lernen weder als langweilig noch als furchteinflößend empfinden –, dann kriegen sie das auf die Reihe. Und zu einem großen Teil ist das eine Frage des richtigen Lehrers. Denken Sie an Ihre eigene Schulzeit: Welche Fächer haben Sie da fasziniert? Hatte das nicht oft zumindest zum Teil mit dem Lehrer zu tun? Sie kennen sicher den Spruch, dass Lehren nicht heißt, Köpfe mit Wissen vollzustopfen, sondern die Flamme der Neugier darin zu entzünden. Die jungen Leute werden künftig zu den Lehrern gehen, die das bei ihnen vermögen.«
Der andere schüttelte missbilligend den Kopf. »Damit erreichen Sie aber nur, dass die guten Lehrer überrannt werden, während die schlechten allein in leeren Klassenzimmern stehen.«
»Richtig.« Simon nickte. »Das ist der Sinn der Sache.«
»Die guten Lehrer mit
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