Ein König für Deutschland
bisherigen Parteien. Die redeten kein Wort mit ihnen.
Loser.
»Ich versteh das ja nicht so richtig«, bekannte einer, ein dicker, machomäßig gekleideter IT-Student, den die meisten unter seinem Pseudo SuperShrike kannten. »Das ist doch aber jetzt irgendwie echt, oder?«
»Keine Ahnung«, bekannte ein in einen nicht mehr ganz guten Anzug gekleideter Kraftfahrzeugmechaniker, Mitte dreißig,Familienvater mit zwei Kindern und in der World of Warcraft ein gefürchteter Draenei-Magier. »Sieht auf jeden Fall alles aus wie im Fernsehen.«
Nach der Führung durch das Reichstagsgebäude und den Plenarsaal (»Hier werden wir sitzen?« – »Boah, Mikrofon an jedem Platz! Und wozu sind die Knöpfe?« – »Mann! Zum Abstimmen natürlich!«) ging es in den im obersten Stock gelegenen Fraktionsbereich. Ein großes Transparent, auf das eine skizzierte Königskrone gedruckt war und daneben ein Porträt von Simon I., wies den Weg in den Raum, in dem sie sich schließlich versammelten.
»Fraktionssitzung«. Klang geil, das fanden alle.
Alex, den sie natürlich alle kannten, leitete die Sache. Er trug einen todschicken Anzug und hatte, wie immer, alles im Griff.
»Morgen ist die sogenannte konstituierende Sitzung des Bundestags«, erklärte er. Das Mikrofon pfiff. Er wartete, bis jemand die Anlage besser eingestellt hatte, dann fuhr er fort: »Ich will euch jetzt erklären, wie das ablaufen wird und was ihr tun müsst. Der wichtigste Punkt ist, dass im Verlauf dieser Sitzung der Bundeskanzler gewählt werden wird 91 . Ich hatte gestern ein Gespräch mit dem Bundespräsidenten; danach steht jetzt fest, dass er mich als Vorsitzenden der stärksten Partei zum Kanzler vorschlagen wird –«
Mehrere Arme schossen in die Höhe, und auf Alex’ fragenden Blick hin rief einer: »Wieso du? Ich dachte, es ging um Simon König?«
»Nein. Da er später zum König gekrönt werden und als Monarch über den Dingen stehen soll, ist es besser, wenn er erst gar nicht in das parteipolitische Tagesgeschäft verwickelt wird.«
»Warum wählen wir ihn nicht einfach gleich zum König?«
»Das geht nicht ohne Weiteres. Ehe wir das tun können, sind zusätzliche Schritte nötig, die ich euch nachher genauer erklären werde. Im Wesentlichen ist es dazu erforderlich, dass wir zuerst eine Verfassung schaffen, die überhaupt einen Monarchen als Staatsoberhaupt vorsieht. Im Moment ist dies nach wie vor der Bundespräsident.«
Im Saal war Unruhe aufgekommen, die sich nicht legen wollte. Alex merkte, dass seine Ausführungen die Leute nur verwirrten.
»Ich sag’s noch mal ganz einfach«, rief er schließlich über das Mikrofon. »Wenn es morgen zur Abstimmung kommt, dann bitte ich euch, alle für mich zu stimmen. Das ist nötig, sonst kommen wir nicht ins nächste Level des Spiels. Alles klar?«
Ja, damit war alles klar. Diese Sprache verstanden sie.
So wurde Alexander Leicht in der konstituierenden Sitzung des Bundestages mit siebenundsechzig Prozent der Stimmen – das hieß, mit sämtlichen Stimmen der Volksbewegung für die Wiedereinführung der Monarchie und gegen die Stimmen aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien – zum neuen Bundeskanzler gewählt. Seine Antrittsrede fiel kurz aus: Er erklärte, vorrangiges Ziel seiner Regierung sei, Simon König zum König von Deutschland zu krönen und damit die Monarchie wiederherzustellen.
***
»Früher kannte man den Begriff der Festungshaft «, sagte Simon.
Sie saßen wieder einmal in dem dunklen Gang, dessen schmale Fenster scharf umrissene Lichtinseln auf den Boden zeichneten. Inzwischen akzeptierte Leo es ohne Widerrede, wenn Simon während dessen Wache aus dem Zimmer kam und sich zu ihm setzte, um mit ihm zu plaudern. Solange Helene drinnen blieb, machte Leo sich offenbar keine Sorgen, er könne zu fliehen versuchen.
»Man sprach von einer custodia honesta , einer nicht entehrenden Strafe oder auch von Ehrenhaft «, fuhr Simon fort. Anfangs war er nur herausgekommen, um sich zu erkundigen, ob etwas über den Verbleib seines Sohnes bekannt geworden sei: Vincent war seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis spurlos verschwunden, und niemand schien zu wissen, wohin. »Sie wurde meist verhängt, wenn der Angeklagte ein Angehöriger eines höheren Standes war, manchmal auch bei politischen Straftaten. Nach dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 drohte außerdem Duellanten Festungshaft – allerdings waren Duelle ein Vergehen, das fast nie verfolgt wurde.«
Leo sah betreten zu Boden. »Ich
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