Ein König für Deutschland
Frau in dem Sitz neben dem Agenten fing auf Italienisch an zu beten, die Zielperson dagegen zeigte keinerlei Zeichen von Unsicherheit. Beim Aussteigen hielt sich der Agent hinter ihr, ließ ihr, sobald sie im Flughafengebäude waren, einen guten Vorsprung … Nun, es ging ja sowieso erst ans Gepäckband.
Da tat sich noch nichts. Sie suchte, praktisch gemeinsam mit allen anderen Frauen, die in dem Flugzeug gewesen waren, die Toilette auf. Der Agent stellte sich an einen Platz, wo es so aussah, als warte er auf sein Gepäck (tatsächlich hatte er keines), und von wo aus er die Toilettentür im Blick behielt. Dann zog er sein Telefon heraus, rief die Kollegen draußen beim Ausgang an und brachte sie auf den neuesten Stand.
Was er nicht wusste, war, dass auch Sirona nur mit Handgepäck reiste. Auf der Toilette drückte sie sich zwischen den anderen Frauen herum (die sie natürlich ebenfalls irritiert ansahen, wie alle), bis die große Kabine für Behinderte frei wurde.
Ein Glücksfall: Diese Kabine verfügte sogar über ein eigenes Waschbecken.
Sirona zog ihr Kostüm aus, wischte sich den größten Teil ihres Make-ups aus dem Gesicht, wusch sich und schminkte sich neu; dezent diesmal. Dann löste sie die Klammern aus ihrem Haar, entfernte die künstlichen Teile und frisierte den Rest nach hinten. Sie zog die Sachen an, die sie in Berlin noch in aller Eile am Flughafen gekauft und in ihrem bunten Umhängesack verstaut hatte: eine dunkle Hose, eine Bluse, die ihr ein geschäftsmäßiges Aussehen verlieh, und einen dünnen Pullover. Schließlich holte sie eine mit vielen Reißverschlüssen versehene Ledertasche heraus, die sich auf raffinierte Weise vergrößern ließ, und dort hinein stopfte sie alles – ihr Kostüm, ihre Haarteile und auch die Umhängetasche.
Sie war nicht wiederzuerkennen, als sie die Toilette verließ. Ohne zu ahnen, dass er auf sie wartete, ging sie direkt an dem Agenten vorbei zum Ausgang. Auch die beiden Männer, die dortlauerten, streiften sie nur mit einem beiläufigen Blick. Als dem am Gepäckband wartenden Agenten dämmerte, dass irgendetwas schiefgegangen sein musste, war Sirona bereits mit einem gemieteten Wagen unterwegs auf der Viale Regione Siciliana .
***
So schnell, wie Zantini geglaubt hatte, starb man nicht. Irgendwann ließen die erbitterten Hiebe, die gnadenlosen Fußtritte, die hasserfüllten Faustschläge gegen seinen Körper, seinen Kopf, seine Weichteile nach, hörten schließlich auf. Nicht, dass sich Zantini daraufhin frohgemut hätte erheben können: Er blieb liegen, wo er lag, unfähig, auch nur die Hand zu rühren, und fühlte sich, als bestünde er bloß noch aus rohem Fleisch. Er war nicht tot, nein – aber er wünschte, er wäre es gewesen.
Jemand fasste ihn an der Schulter, drehte ihn behutsam herum. Es war eine Berührung, die so anders war, dass Zantini die Mühe auf sich nahm und versuchte, die Augen zu öffnen.
Es waren zwei junge Männer in leichten, modischen Anzügen. Sie beugten sich über ihn. Sie hatten glatte Gesichter und lächelten.
»Wer sind Sie?«, fragte Zantini mühsam. Zumindest versuchte er es; er wusste nicht, ob man das, was er von sich gab, verstehen konnte. Er wusste auch nicht mehr, wie viele Zähne er noch besaß.
»Mein Name ist Müller«, sagte der dunkelhaarige der beiden. Er deutete auf seinen eher blonden Kollegen: »Und das ist Herr Schmitt.«
»Und die …?«
»Die Nazis? Die sind weg.«
Zantini sank in sich zusammen. Die Erleichterung ließ ihn fast ohnmächtig werden. »Danke. Die hätten mich umgebracht.«
»Sieht ganz so aus«, erwiderte Müller beinahe heiter.
Zantini brachte seine Hand dazu, sich zu bewegen, hier und da über den Körper zu tasten. »Ich glaube … da ist wasgebrochen. Und ich blute.« Zumindest hatte er einen metallischen Geschmack im Mund und das Gefühl, dass Flüssigkeiten aus Körperöffnungen flossen. »Können Sie einen Krankenwagen rufen?«
Die beiden schüttelten sanft lächelnd die Köpfe. »Ich fürchte, das können wir nicht«, sagte Schmitt.
Es klang auf seltsame Weise zugleich bedauernd wie endgültig. Und so, als berühre es sie im Grunde nicht. Als seien sie nur zufällig hier.
Zantini hob mühsam den Kopf, sah umher, versuchte in dem Durcheinander zertrümmerter Möbelstücke und heruntergerissenen Geschirrs zu erkennen, wo er sich befand. »Da drüben«, sagte er mühsam. »Da ist das … Telefon!«
»Ah, ja?« Müller sah in die Richtung, in die er zeigte, erhob sich und ging
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