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Ein König für Deutschland

Ein König für Deutschland

Titel: Ein König für Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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für ein Markus?«
    »Egal. Heutzutage gibt es in jeder Klasse einen Markus.« Er schlüpfte in sein Jackett, warf die bestickte Indianerhose und die Pelzjacke nach vorn. »Du musst wieder zurück, schätze ich?«
    Leo nickte. »Soll ich dich ein Stück mitnehmen?«
    »Nein, ich halt hier die Stellung.« Leo sah ihn in seinem kleinen schwarzen Notizbuch blättern. Vermutlich prüfte er, ob er auch genug Telefonnummern hatte, die er in der Zwischenzeit anrufen konnte. »Einer muss es ja machen.«
    »War nur ein Angebot«, sagte Leo.
    »Ja, danke. Danke auch für … na ja, alles eben.« Im nächsten Moment war er draußen, schlug die Tür zu.
    Leo ließ den Motor an. Als er im Wegfahren zurückblickte, sah er seinen vom Indianer in einen Geschäftsmann verwandelten Bruder schon ins erste Telefonat vertieft.
    ***
    Der weitere Tag verlief, wie schon so viele Tage verlaufen waren, und in den gleichförmigen Rhythmus des Schulalltags zu sinken, empfand Simon König wie immer als ausgesprochen beruhigend.
    Sechste Stunde, Klasse 10A: Nationalsozialismus, Übergang von der Weimarer Demokratie zur Diktatur. Heute konnte er einen Film über die Machtergreifung Hitlers zeigen. Filme kamen immer gut an, wenn auch ihr Nutzen in Simons Augen weit überschätzt wurde, weswegen er selten zu diesem Hilfsmittel griff. Aber da er nicht in den Ruf geraten wollte, mit modernen Lehrmitteln nicht umgehen zu können, und er diesen Film zudem für einen der eindrücklichsten hielt, war diese Stunde damit abgedeckt.
    »Und?«, fragte ihn Bernd Rothemund in der Mittagspause. »Waren sie brav, meine Zehntklässler?«
    Bernd Rothemund war der Klassenlehrer der 10A. Er lehrte Französisch, Englisch und, wenn Not am Mann war, Deutschund war einer der wenigen Kollegen an der Schule, mit denen sich Simon wirklich gut verstand.
    »Ich hab sie mit einem Film ruhiggestellt«, erwiderte Simon.
    »Du arbeitest aber auch mit allen Tricks«, grinste Bernd. »Komm, gehen wir zusammen in die Mensa.«
    Bernd war ein gemütlicher, bärtiger Mann mit einem gesunden Bierbauch und Halbglatze, der jene Art Unbeschwertheit ausstrahlte, die Simon selber an sich empfindlich vermisste. Zudem teilte Bernd einige seiner Auffassungen über die Bedeutung schulischer Ausbildung, darüber, welche Verantwortung ein Lehrer für die Zukunft eines Gemeinwesens trug und wie man Unterricht am besten gestaltete. Sie pflegten gemeinsam das Motto, dass Schule nicht darin bestehen dürfe, Kinderköpfe mit Wissen zu stopfen; das Ziel sei vielmehr, eine Flamme in ihnen zu entzünden.
    Die Mensa. Simon wusste nicht recht, ob er deren Existenz begrüßen sollte oder nicht. Die Schule hatte nicht immer über eine Mensa verfügt; früher waren die Schüler zum Mittagessen nach Hause gegangen, es hatte auch generell weniger Nachmittagsunterricht stattgefunden. Doch inzwischen hätten die meisten Schüler mittags zu Hause nur eine leere Wohnung vorgefunden, weil ihre Mütter ebenfalls arbeiteten. So war entschieden worden, die Cafeteria zu einer richtigen Kantine auszubauen, die professionell von einem externen Dienstleister betrieben wurde.
    Und nicht schlecht. Simon aß weitaus lieber hier, als sich zu Hause selber etwas zu kochen oder gar jeden Tag in ein Restaurant zu gehen: Das wäre seiner Überzeugung nach der Gesundheit nicht zuträglich gewesen, abgesehen davon, dass er es sich nicht hätte leisten können.
    Das war die positive Seite. Der negative Aspekt war, dass sich darin eine gesellschaftliche Entwicklung niederschlug, die Simon Sorge bereitete: dass die meisten Eltern wirtschaftlich derart gefordert waren, dass sie es sich nicht mehr erlauben konnten, dass ein Elternteil zu Hause blieb und sich um die Kinder kümmerte – wobei es sich in der Regel nur noch um ein einzelnes Kind handelte. Das wiederum hieß, dass die Eltern von der Schuleerwarteten, Erziehungsaufgaben zu übernehmen, die einer staatlichen Einrichtung zu übertragen früher niemandem auch nur im Traum eingefallen wäre. An manchen Elternabenden hatte Simon das Gefühl, viele Eltern hätten ihre Kinder am liebsten zu Beginn des Schuljahrs in der Schule abgegeben und am Ende wieder abgeholt, in der Erwartung natürlich, tadellos erzogene junge Menschen vorzufinden. Aber das war nicht leistbar. Die Schule war dazu da, Wissen zu vermitteln, im besten Fall dazu, eine gewisse geistige Neugier zu wecken, eine Lust am Lernen (was zugegebenermaßen nur selten wirklich passierte), aber mit ihrer Struktur aus Klassen und

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