Ein König für Deutschland
voll, aber egal.
Simon kehrte zurück an sein Fach, überflog den Stundenplan vom Dienstag und versuchte, eine Vorstellung davon zu entwickeln, was er in den einzelnen Stunden abhandeln würde. In der elften Klasse musste er den Test für nächste Woche ansagen, das durfte er nicht vergessen …
Die Tür ging auf. »Ah, der Herr König.« Die Stimme von Volker Fuhrmann, seines Zeichens Lehrer für Biologie, Deutsch und Religion. »Das ist ja geschickt, dass ich dich treffe. Ich brauch nämlich was von dir.«
Simon musterte den schwabbeligen Mann. Fuhrmann gehörte zu den Kollegen, mit denen er den Umgang auf das absolute Minimum beschränkt hielt. »Nämlich?«
»Deine Unterschrift.« Fuhrmann wackelte an sein Schrankfach, dabei einen Schlüsselbund aus der Tasche nestelnd, der aussah, als enthielte er die Hausschlüssel des gesamten Stadtteils. Simon war schleierhaft, wie ein einzelner Mensch so viele Schlüssel besitzen konnte. Er werfe damit nach unbotmäßigen Schülern, hieß es, vor allem nach solchen, die während seines Unterrichts miteinander tuschelten. In der letzten Ausgabe der Schülerzeitung war der Fuhrmann’sche Schlüsselbund deshalb als Massenvernichtungswaffe bezeichnet worden.
»Meine Unterschrift? Wozu das denn?«
»Wirst du gleich sehen.« Fuhrmann öffnete geräuschvoll die Schranktür und zog ein mehrseitiges Dokument mit einer langen Liste von Unterschriften hervor. »Eine Aktion der Lehrergewerkschaft gegen die Pläne der Bildungsministerin, uns Inspektoren in den Unterricht zu schicken. Ich meine, geht’s noch? Was glaubt die Frau, mit wem sie es zu tun hat? Wir haben alle unsere Prüfungen abgelegt und bestanden, sonst wären wir heute wohl kaum als Lehrer tätig, nicht wahr? Was braucht es da weitere Kontrollen?«
»Eine Aktion? Davon höre ich zum ersten Mal.«
»Die wollen Druck machen. Es ist in der Diskussion, dassjeder Lehrer einmal jährlich von einem Inspektor dahingehend begutachtet werden soll, was sein Unterricht taugt. Nach deren Vorstellung halt; ich meine, was werden da für Leute kommen? Gesandte vom grünen Tisch, die keine Ahnung haben, wie es im wirklichen Schulleben zugeht.« Fuhrmann legte die Papiere vor Simon hin und einen Kugelschreiber daneben. »Also, wenn du nicht willst, dass demnächst irgendwelche Typen vom Oberschulamt auftauchen und sich in deinen Unterricht setzen, um dir nachher Noten zu geben, dann unterschreib. Bis jetzt ist das bloß eine Idee, das heißt, man kann sie noch stoppen. Das Kind in der Wiege erwürgen, sozusagen.«
Simon überflog den Text der Resolution, dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich finde das eine gute Idee. So was in der Art wäre das Erste, was ich einführen würde, wenn ich Bildungsminister wäre.«
Fuhrmann sah ihn entgeistert an. »Bist du wahnsinnig? Du unterstützt das auch noch?«
»Was haben wir denn zu befürchten? Wenn wir unseren Unterricht so machen, wie er gemacht werden muss, nichts. Zumal man es sich überlegen wird, aus solchen Bewertungen allzu rasch Konsequenzen zu ziehen«, erklärte Simon. »Sie werden schon keinen feuern, bei dem Lehrermangel, der zurzeit herrscht.«
Was kein Wunder war, war der Beruf des Lehrers doch im öffentlichen Ansehen auf dem denkbar niedrigsten Stand angelangt. Lehrer wurde nur noch, wer sich zu einem richtigen Beruf nicht befähigt fühlte. Jemand wie Volker Fuhrmann, der sich auf seinem dicken Hintern und seiner Beamtenposition ausruhte und dessen Lieblingsspruch lautete: »Mir doch egal, ob ihr was lernt; mein Gehalt läuft weiter.« Fuhrmanns Vorstellung von Unterricht, das hörte Simon immer wieder von Schülern, sah so aus, sich auf die Vorderkante des Lehrertischs zu setzen und vor sich hin zu monologisieren, ohne sich darum zu kümmern, ob ihm jemand folgen konnte oder auch nur verstand, wovon die Rede war. Dafür galten seine Tests als kinderleicht, weswegen er sich, obwohl man nichts bei ihm lernte, trotzdem einer gewissen Beliebtheit erfreute.
»Na schön«, sagte Fuhrmann und nahm Stift und Unterschriftenliste wieder an sich. »Na schön, von mir aus.« So, wie er es sagte, war klar, dass er es alles andere als schön fand. Im Gegenteil, er kochte vor Wut, geradeso, als hätte ihn Simon persönlich beleidigt. »Das ist kurzsichtig gedacht, Simon. Lass dir das gesagt sein. Sehr kurzfristig gedacht. Hätte ich nicht von dir erwartet.«
»Bedauerlich, dass du mich so schlecht kennst«, erwiderte Simon ungerührt.
»Kurzsichtig,
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