Ein König für Deutschland
seltsamer.
Auf jeden Fall: Wenn diese Frau und ihre Komplizen da draußen – denn nichts anderes konnten die beiden Typen sein: Komplizen –, wenn die glaubten, einen alten Knacker wie ihn aufs Kreuz legen zu können, dann sollten sie sich geschnitten haben. So leicht würde er es ihnen nicht machen.
»Was für eine CD?«, fragte er.
»Die er Ihnen geschickt hat.«
Simon setzte einen Gesichtsausdruck vollkommener Ahnungslosigkeit auf. Er hatte diesen Gesichtsausdruck sorgfältig einstudiert, denn man benötigte ihn als Lehrer oft; zum Beispiel, wenneinen Abiturienten auszufragen versuchten, welche Sachgebiete oder Fragen im nächsten Test drankamen.
»Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen«, sagte er. »Mein Sohn soll mir eine CD geschickt haben? Was für eine CD?«
Sie holte tief Luft, lächelte wissend. »Okay«, sagte sie und hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste. »Gut. Damit war zu rechnen. Dass Sie so reagieren, meine ich. Vincent hat mir gesagt, dass er Ihnen in dem Brief, der der CD beilag, eingeschärft hat, mit niemandem darüber zu reden. Das ist okay. Und Sie machen das gut, wirklich. Hochachtung. Aber sehen Sie« – sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht –, »sehen Sie, nachdem Vincent den Brief an Sie abgeschickt hatte, hat er sich die ganze Sache noch mal durch den Kopf gehen lassen. Man hat sicher viel Zeit nachzudenken, wenn man in den USA mit dem Auto unterwegs ist, bei den Entfernungen … Jedenfalls, er hat mir von unterwegs ein Mail geschrieben, von einem Internet-PC in irgendeinem Motel, wie ich das verstanden habe, und mich darum gebeten, Ihnen beizustehen. Und er hat mir auch geschrieben, dass Sie möglicherweise so reagieren würden, wie Sie jetzt reagieren. Dass Sie abstreiten würden, etwas von einer CD zu wissen. Aber der Brief hatte eine Trackingnummer, ein Einwurfeinschreiben oder wie das heißt, und über diese Nummer kann man die Sendung im Internet verfolgen. Vincent hat mir die Nummer geschickt, und ich habe gesehen, dass die Sendung seit heute früh um 9:02 Uhr als zugestellt gilt, zugestellt durch Einwurf.«
Klang ziemlich überzeugend, das musste Simon zugeben. Beinahe wahr.
Allerdings war Simon lange genug Lehrer, um gelernt zu haben, dass es oft die verlogensten Menschen waren, die sich darauf verstanden, geradezu aus dem Nichts absolut glaubwürdig klingende Geschichten zu erfinden und sie mit dem treuherzigsten Augenaufschlag der Welt zu erzählen. Darauf durfte man nicht hereinfallen. Im Zweifelsfall hieß es, skeptisch zu bleiben und nichts zu glauben, solange nicht knallharte Beweise vorgelegt wurden.
Was in diesem Fall schwierig werden konnte. Es stimmte: Er erinnerte sich, dass auf dem Briefumschlag ein Etikett mit einem Barcode geklebt hatte. Er hatte nicht weiter darauf geachtet, schließlich war das heutzutage nichts Besonderes. Er hatte schon Pakete mit einem halben Dutzend verschiedener Barcode-Aufkleber erhalten, ein Anblick, bei dem er sich gefragt hatte, wie die Leute, die damit umgingen, die einzelnen Aufkleber auseinanderhielten und ob es überhaupt noch jemanden gab, der kapierte, wozu das alles gut sein sollte.
Wie auch immer: Er hatte den Briefumschlag sorgfältig vernichtet, inklusive des Aufklebers. Davon war keine Spur mehr zu finden. Und was das Internet behauptete … Nun ja. Das war nicht sein Problem.
Er lächelte, hob die Schultern. »Tut mir leid. Mit dem Internet kenne ich mich absolut nicht aus.«
»Haben Sie heute schon in Ihren Briefkasten geschaut?«
»Ich wüsste zwar nicht, was Sie das angeht, aber: Ja.«
»Das kann nicht sein. Der Brief müsste darin gewesen sein.«
»Tut mir leid.«
Insgeheim musste er lächeln. Sie schien noch zu glauben, ihn überreden zu können. Wie die Staubsaugervertreter, die ab und zu in seiner Tür standen und meinten, wenn sie nur lange genug redeten, würde er schon klein beigeben. Oder die diversen Bibelpropagandisten früher – inzwischen kamen die gar nicht mehr zu ihm.
Aber Simon war im Umgang mit rabiaten Teenagern gestählt. Er hatte gelernt, verwöhnten Gören standzuhalten, Kindern, die schrien, drohten und manchmal regelrecht tobten, wenn sie ihren Willen nicht bekamen. Und ihren Eltern, nicht zu vergessen. Die schrien, drohten und tobten nicht selten auch.
Egal, was sie versuchte, er würde keine Miene verziehen und nicht weichen, und wenn sie hundert Jahre hier auf der Treppe stand und redete, bis ihr der Unterkiefer abbrach.
Sie
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