Ein König für Deutschland
waren?
Andererseits konnte es durchaus sein, dass die Geschichte stimmte, die diese Sirona ihm erzählt hatte. Dass Vincent sie geschickt hatte. Aber in dem Fall würde der Junge ja hoffentlich so intelligent sein, ihm einen zweiten Brief zu schreiben, in dem er die Anweisungen des ersten entsprechend modifizierte. Das war logisch, und da Vincent Programmierer war, war er sicher daran gewöhnt, logisch zu denken. Also würde Simon diesen zweiten Brief seines Sohnes abwarten, ehe er irgendwelche weiteren Schritte unternahm.
Dieser Entschluss, so wohltuend und durchdacht er sich anfühlte, hielt nur knapp bis zu seiner Haustür. Gar nichts zu tun, das war doch ein bisschen wenig.
Vielleicht, sagte sich Simon, während er seinen Schlüsselbund hervorzog und die altmodische Mattglastüre aufschloss, sollte er sich zumindest einmal anschauen, was auf dieser CD eigentlich drauf war. Was ihm mangels PC nicht möglich war, aber vielleicht konnte er sich ja einen Computer borgen. Es war nicht so, dass er von Computern überhaupt keine Ahnung hatte; auf dem PC im Lehrerzimmer hatte er durchaus schon den ein oder anderen Text verfasst, und er bewahrte in seinem Schrankfach ein paar Disketten auf, auf denen er diese Texte abgespeichert hatte.
Eine andere Sache war, dass er sich hatte sagen lassen müssen, dass Disketten aus der Mode kamen und der nächste PC, sollte der jetzige seinen Geist eines Tages aufgeben, wahrscheinlich gar kein Laufwerk mehr dafür haben würde, aber das kümmerte ihn im Moment nicht. Wichtig war, dass eine CD im Prinzip auch nichts anderes als eine Diskette war, nur dass eben mehrdraufpasste. Er sollte imstande sein, damit auf eigene Faust klarzukommen.
Während er die Treppe hochstieg, ging er in Gedanken seinen Bekanntenkreis durch. Wer besaß einen tragbaren Computer und würde ihn ihm borgen, zumindest für einen Abend? Bernd vielleicht. Hatte der nicht erzählt, dass seine Frau sich einen Laptop gekauft hatte?
Doch, jetzt erinnerte er sich. Bernd hatte sich beklagt, dass sie so wenig damit mache und es hinausgeworfenes Geld gewesen sei. Da würde es sicher kein Problem sein, sich das Gerät einmal auszuleihen.
Simon schloss die Wohnungstür auf und trat die Schuhe ab. Am besten rief er Bernd gleich an; vielleicht ließ sich das ja noch heute Abend –
Er hielt inne, als sich ihm der nächste unwirkliche Anblick an diesem Tag der Seltsamkeiten darbot. Diesmal war es ein Zwerg, ein kaum einen Meter großer Mann, der einen piekfeinen Nadelstreifenanzug trug, mitten im Flur von Simons Wohnung stand und einen Revolver auf ihn gerichtet hielt.
»Guten Abend, Herr König«, sagte er. »Kommen Sie ruhig herein. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.«
KAPITEL 20
S imon hatte das Gefühl, dass sein Herz einen Schlag lang aussetzte. Oder zwei. Oder dass es überhaupt aufgehört hatte zu schlagen.
Sein Mund war auf einmal trocken. Das merkte er, als er unwillkürlich zu schlucken versuchte. Ein Revolver! So etwas kannte er nur aus dem Fernsehen, von damals, als er noch Zeit mit dem Müll aus der Glotze verplempert hatte. Und seltsam: Wenn man so etwas wie Revolver immer nur im Fernsehen sah, dachte man irgendwie, dass es derlei Dinge in Wirklichkeit gar nicht gab. Vielleicht, schoss es ihm durch den Kopf, war das der Grund, warum die Menschen so gerne Mord und Totschlag auf Bildschirmen und Kinoleinwänden sahen: Weil das auf paradoxe Weise diese schrecklichen Dinge von ihnen fortrückte, ihnen das Gefühl gab, dass ihnen so etwas nicht passieren konnte.
Ein Trugschluss, wie es aussah.
Simon hob langsam die Hände. Das machte man so. Das wusste er ebenfalls aus dem Fernsehen. Vincent, Vincent, dachte er, was ist das? Deine Rache?
»Lassen Sie den Scheiß, wir sind hier nicht im Tatort «, meinte der Zwerg. »Kommen Sie einfach rein und machen Sie die Tür hinter sich zu.«
Simon nahm die Hände wieder herunter und tat wie geheißen. Wobei die Tür zu schließen erforderte, dem Liliputaner den Rücken zuzukehren. Dabei spannte sich Simon unwillkürlich an, obwohl er sich sagte, dass auch angespannte Muskeln keine Geschosse abhielten.
»Darf ich meine Tasche abstellen?«, fragte er, als er das mit der Tür überlebt hatte.
»Klar«, sagte der Zwerg. »Langsam halt.«
Eine schattenhafte Bewegung in der Tür zum Wohnzimmer. »Die Bemerkung meines Freundes, Sie sollten sich wie zu Hause fühlen, war nicht nur so dahingesagt«, hörte Simon jemanden sagen.
Ein erschreckend hagerer Mann mit
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