Ein König für San Rinaldi
Kadir wenig. Eine solche Frau würde kaum das Verlangen eines Mannes wecken. Es spielte jedoch keine Rolle, ob er seine künftige Ehefrau begehrte. Wichtig war nur, dass sie ihm einen Sohn gebar.
Mit dieser Einstellung war Kadir aufgewachsen. Die Spielregeln kannte er, und daher störte er sich nicht an dem Arrangement. Deshalb war ihm auch gleichgültig, ob er Natalia Carini attraktiv finden würde. Ein Mann wie er, der eine Ehe zum Wohl der Dynastie schloss, durfte sich keine weiteren Ansprüche erlauben. Dennoch fand er seltsam, dass sein Vater sie nicht schon vor der öffentlichen Bekanntgabe der Verlobung einander vorstellte.
„Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch auf dieser Welt bleibt“, fuhr König Giorgio fort. „Das ist der wichtigste Grund dafür, dass deine Hochzeit mit Natalia schon in zehn Tagen stattfinden wird. Die nötigen Vorbereitungen werden getroffen.“
Kadir war in einer Herrscherfamilie aufgewachsen und hatte damit gerechnet, selbst einmal ein Land zu regieren. An einen Befehlston war er dadurch gewöhnt. Trotzdem hatte Kadir sich bis heute nicht damit abgefunden, wie andere versuchten, über sein Leben zu bestimmen. Zumindest könnte König Giorgio vorher seine Meinung einholen.
„Wird es der Bevölkerung nicht sonderbar erscheinen“, wandte er ein, „wenn wir diese Heirat dermaßen überstürzen?“
Ein Lächeln glitt über König Giorgios Gesicht. „Falls du darauf anspielst, was die Leute daraus schließen könnten: Ich finde es gar nicht schlecht. Sollen sie ruhig glauben, dass Natalia ein Kind von dir erwartet. Ich kenne mein Volk. Die Menschen würden dich sogar viel freudiger begrüßen, wenn eine Frau von San Rinaldi dir einen Sohn schenkt.“
Zuerst war nur von Ehe die Rede, jetzt ist auch schon ein Sohn im Spiel, dachte Kadir.
„Ich habe in Hadiya noch einige Pflichten“, sagte er nüchtern. „Es geht um die offiziellen Feierlichkeiten, in denen mein jüngerer Bruder als neuer regierender Scheich vorgestellt wird. Das erfordert meine Anwesenheit in meiner Heimat.“
„Das ist gar kein Problem und lässt sich leicht einrichten“, meinte der König. „Gleich nach der Hochzeit reist du mit Natalia nach Hadiya. Ihr verbringt dort eure Flitterwochen.“
Nachdem er kurz angeklopft hatte, betrat der Hofminister den Raum und unterbrach damit die Unterhaltung.
„Majestät“, sagte er zum König, „es ist bald so weit. Das Volk versammelt sich. Prinz Kadir muss sich noch umziehen, bevor Sie ihn als Ihren Erben ausrufen.“
„Sie erwarten doch nicht im Ernst von mir, dass ich das anziehe!“, rief Natalia und betrachtete geradezu entsetzt das Satinkorsett mit aufgestickten Juwelen, das mehr einem Folterinstrument ähnelte als einem Kleidungsstück.
„Der König wünscht ausdrücklich, dass Sie es tragen“, erwiderte Gräfin Ficino geziert. „Wenn das Volk Sie darin sieht, wird es seiner Meinung nach an Königin Sophia erinnert. Er hofft, dass die Menschen ihre Liebe zu der verstorbenen Königin auf Sie übertragen.“
Natürlich ließ König Giorgio keine Gelegenheit aus, um das Vertrauen seines Volkes zu stärken. Das gestand Natalia ihm zu. Damit verfolgte er eigene Interessen. Gleichzeitig achtete er dabei aber auch das Wohl der Menschen, die auf San Rinaldi lebten.
Die Korsage musste so eng geschnürt werden, dass Natalia kaum atmen konnte. Durch die schmale Taille wirkte das Kleid besonders elegant. Eine Stunde lang hatte ein Stylist ihr Haar frisiert, und als Natalia sich jetzt im Spiegel musterte, erkannte sie sich in dem Kleid und mit der majestätisch strengen Frisur nicht wieder. Vertraut war ihr nur der Duft ihres Lieblingsparfums.
Es klopfte. Die Flügeltüren schwangen auf und gaben den Blick auf eine Reihe traditionell gekleideter Palastwächter frei.
Der Zeitpunkt war gekommen.
Sobald Natalia durch diese Tür schritt, ließ sie ihr altes Leben für immer hinter sich. Bald war sie die Verlobte von Kronprinz Kadir von San Rinaldi.
Kadir hörte das Stimmengewirr der Menschenmenge, die sich auf dem Vorplatz drängte. Sein Vater hatte erklärt, dass sich vom Balkon, den sie gleich betreten wollten, die Könige der Tradition gemäß mit guten oder schlechten Neuigkeiten an ihr Volk wandten.
An den Türen zum Balkon hing neben der Fahne von San Rinaldi das Familienwappen von Kadirs Familie.
Nachdem die Fanfaren ertönten, wurden die Türen geöffnet. Als die kleine Gruppe auf den Balkon hinaustrat, blickte Kadir auf die Menge. Bunte Fahnen
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