Ein König für San Rinaldi
überzeugt, dass es das einzig Richtige ist, wenn die Verlobte meines Sohnes sie trägt.“
Auf ein Zeichen der Gräfin neigte Natalia den Kopf. Sie erschauerte, als sie die kühle schwere Diamantkette auf der Haut spürte.
„Kadir.“ König Giorgio nickte seinem Sohn zu und deutete auf den beeindruckenden Diamantring, der neben Armbändern und einer Tiara in der Schatulle lag.
Während Kadir nach dem Ring griff, traf Natalia ein dermaßen abweisender Blick aus seinen grünen Augen, dass sie es wie einen Schlag ins Gesicht empfand.
„Er soll Ihnen den Ring anstecken!“, zischte die Gräfin ihr zu. „Die Leute wollen das sehen!“
Mühsam ignorierte Natalia das eisige Schimmern in seinen Augen und hielt ihm die Hand hin. Ihre langen schlanken Finger wirkten verglichen mit seiner kräftigen Hand ungewöhnlich zart. Der Ring funkelte geradezu unheilverkündend, zumindest erschien es Natalia so. Ihre Hand zitterte so heftig, dass sie leicht gegen Kadirs stieß.
Sofort ballte er die Hand zur Faust, als würde er sich vor jedem körperlichen Kontakt mit ihr ekeln.
Natalia spürte, wie sie rot wurde. Ihr Gesicht schien zu glühen. Hätte sie doch bloß den Mut gefunden, sich umzudrehen und den Balkon zu verlassen!
Jetzt war es zu spät. Kadir streifte ihr den Ring über den Finger und hielt dann ihre Hand hoch, damit die Menschen auf dem Platz den blitzenden Verlobungsring sahen.
Der Jubel war ohrenbetäubend. König Giorgio lächelte zufrieden und triumphierend. Natalia wagte nicht, Kadir anzusehen und zu versuchen, seine Gedanken zu erraten. Schon jetzt fürchtete sie die unvermeidliche Aussprache und alles, was danach folgen mochte.
Bedenken und Reue hätte ich früher haben müssen, sagte sie sich und fühlte sich sehr schwach. Was geschehen war, ließ sich nicht rückgängig machen. Die Verantwortung für das, was in Venedig geschehen ist, trage ich aber nicht allein, versuchte sie sich zu trösten.
Trotzdem – sie fand keine Erklärung dafür. Mit den Mitteln der Vernunft konnte Natalia es nicht greifbarer machen.
Um die Situation zu klären, musste Natalia ihm die Wahrheit sagen. Und was war die Wahrheit?
Das Verlangen nach einem Mann hat mich überwältigt und alles andere verdrängt?, überlegte sie. Ihr zukünftiger Ehemann würde das bestimmt nicht gern hören.
6. KAPITEL
Wann ist das endlich vorbei, dachte Natalia erschöpft. Gräfin Ficino hatte den Empfang erwähnt, der nach der öffentlichen Verlobung stattfand. Aber nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen hatte Natalia sich vorgestellt, wie unangenehm es sich anfühlen würde, neben ihrem Verlobten zu stehen.
Sie hatte Kopfschmerzen, konnte sich wegen der engen Korsage des Kleides kaum bewegen und glaubte, bald unter dem Gewicht der Halskette zusammenzubrechen. Die Situation wäre schwierig genug gewesen, wäre sie Kadir nie zuvor begegnet, wovon sie ursprünglich ausgegangen war. Doch so …
Kadir brauchte gar nicht auszusprechen, was er von ihr hielt. Seine abweisenden und feindseligen Blicke zeigten das gnadenlos deutlich. Aber mit welchem Recht verurteilte er sie? Hatte er sich etwa besser verhalten als sie? Wohl kaum.
Im Augenblick war es jedoch völlig sinnlos, auf gleiche Rechte und Pflichten zu pochen. In einer arrangierten Ehe, die noch dazu geschlossen wurde, damit die Monarchie weiterbestand, wurden an den Mann andere Moralansprüche gestellt als an die Frau.
Wenn Natalia sich an die Geschichte ihres Landes erinnerte, erkannte sie eines klar. In der Vergangenheit hatten Könige immer Jungfrauen geheiratet. Dadurch wollten sie sicherstellen, dass das hoffentlich schon neun Monate später geborene Kind tatsächlich von ihnen war – der überaus wichtige erstgeborene Sohn. Zwar hatte sich im Laufe der Zeit vieles gewandelt; manche Vorstellungen waren jedoch so tief verwurzelt, dass man sie nur schwer ändern oder zumindest schwächen konnte.
Dazu kam Kadirs Zugehörigkeit zu einer männerdominierten Kultur. Sicher hatte er gelernt, dass seine Ehefrau ihm allein gehörte und darauf sein Stolz und Ehrgefühl basierten. Nur einer unerfahrenen Frau, die mit keinem anderen zusammen gewesen war, wollte er seinen Namen geben. Nur von ihr wollte er Kinder haben. Natalia spürte, dass ihr Verlobter so dachte, obwohl er es nicht ausgesprochen hatte.
Was sie getan hatte, war im Grunde weniger problematisch. Denn ohne es zu wissen, hatte sie mit ihrem Zukünftigen geschlafen. Jetzt betrachtete sie ihr Verhalten aus einer anderen
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