Ein König für San Rinaldi
gesagt“, fuhr König Giorgio fort, „hätte sie dich um eine großartige Zukunft betrogen.“
„Es gibt durchaus Menschen“, wandte Kadir ein, „die es großartig und als besondere Ehre empfinden, Herrscher von Hadiya zu werden.“
„Hadiya.“ Der König winkte geringschätzig ab. „Herrscher über ein paar Quadratkilometer Wüste! Das lässt sich doch kaum mit San Rinaldi vergleichen, oder?“
„Der Reichtum von Hadiya liegt tief unter der Erdoberfläche. Das Land verfügt über bedeutsame Schätze“, entgegnete Kadir nüchtern. „Es gibt viele reiche westliche Länder, die liebend gern ihre schönen Landschaften gegen den Sand von Hadiya eintauschen würden – und gegen Hadiyas Öl.“
Missbilligend runzelte der König die Stirn. Kadir ließ sich nicht davon beeindrucken. Von seinem leiblichen Vater wollte er sich in keiner Form unter Druck setzen lassen.
Der verstorbene Scheich, den Kadir als Vater kennengelernt hatte, war ein mächtiger und autokratischer Herrscher gewesen. Von jedem, auch von Familienangehörigen, hatte der Scheich bedingungslosen Gehorsam gefordert. Kadirs jüngerer Bruder war immer verständig darauf eingegangen, ohne je Widerworte zu geben. Kadir hingegen hatte oft rebelliert und versucht, seine persönliche Unabhängigkeit zu wahren und eigene Ideen zu entwickeln.
Von einem anderen autoritären Herrscher wollte Kadir sich erst recht nichts vorschreiben lassen. Er war es auch leid, unbeteiligt zu tun und seinen Ärger zu überspielen.
„Sobald du die Krone von San Rinaldi erhältst“, erklärte König Giorgio, „wird mehr als mein Reichtum auf dich übergehen. Du wirst jenes Erbe antreten, das dir aufgrund deiner Geburt zusteht.“
Mit vierzig Jahren war Kadir alt genug, um sich nicht manipulieren zu lassen. Emotional erpressen könnte der König ihn nicht, wenn er das plante. Seine Augen schimmerten verräterisch, und seine Stimme bebte leicht. Seinen leiblichen Vater so zu sehen berührte Kadir trotz seiner kühlen Entschlossenheit.
König Giorgio mochte sich herablassend geben und jene verachten, die seiner Meinung nach unter ihm standen, vor allem Frauen. Trotzdem blieb er ein Mensch aus Fleisch und Blut, er war verwundbar. Von Gefühlen, ob es seine oder die eines anderen waren, ließ Kadir sich jedoch nicht leicht beeinflussen. Zu lange hatte er eigene Emotionen ignoriert, um Verständnis für die seiner Mitmenschen zu zeigen. Zu lange schon schützte er sich, indem er sich von anderen distanzierte. Darum blieb seine Miene unbeweglich, während er seinen Vater betrachtete.
Seinem Sohn zu zeigen, dass er herzlich willkommen war, nutzte König Giorgio. Schließlich verfolgte er ein bestimmtes Ziel. Das bedeutete jedoch noch nicht, dass er keine echten Vatergefühle spürte. Genauso realistisch schätzte Kadir seine Zukunft in San Rinaldi ein. Nur weil er der leibliche Sohn des Königs war, würde ihn das Volk nicht akzeptieren. Wegen der bloßen Verwandtschaft würde ihn niemand so sehr schätzen wie König Giorgio. Umgekehrt garantierte es nicht, dass Kadir sich diesem Land verbunden fühlen würde. Schließlich war er woanders aufgewachsen, kannte bisher weder die Insel noch die Menschen, die hier lebten.
Er glaubte allerdings fest daran, dass er auf San Rinaldi seine diplomatischen Fähigkeiten einsetzen und auf seine Erfahrungen zurückgreifen konnte. Und er hoffte, eine Möglichkeit zu finden, auf der politischen Weltbühne eine Position einzunehmen, die er als Herrscher von Hadiya niemals hätte gewinnen können. Wenn das gelang, würde er hoffentlich endlich inneren Frieden finden und das Gefühl bekommen, etwas geleistet zu haben. Darauf wartete Kadir schon viel zu lange.
„Der Hofminister hat mich informiert“, sagte König Giorgio, „dass sich das Volk bereits auf dem Platz vor dem Schloss versammelt. Die Menschen werden dich willkommen heißen, Kadir, weil du mir, ihrem König, willkommen bist. Und sie werden dich als ihren zukünftigen König anerkennen. Das alles werden sie umso bereitwilliger tun, wenn sie erfahren, dass du Natalia Carini heiratest. Ich selbst habe sie dir ausgesucht. Sie stammt aus einer alteingesessenen Familie San Rinaldis, die auf der Insel hohes Ansehen genießt. Natalia lebt für unser Land, und sie wird dir alles über unser Volk beibringen, was du wissen musst. Sie steht den Menschen nahe und kennt sie.“
Was für eine Frau, dachte der Prinz ironisch. Das Bild, das sein Vater mit seiner Beschreibung entwarf, reizte
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