Ein König für San Rinaldi
wichtig, dass die Waren fair gehandelt und die Erzeuger in den Ursprungsländern nicht ausgebeutet wurden.
Durch die Flügeltür betrat sie einen kleinen Vorraum, von dem aus eine weitere Flügeltür wie erwartet ins Schlafzimmer führte.
Natalia sah sich um und seufzte. Die Einrichtung ähnelte der im Salon. Der Himmel des riesigen Rokoko-Betts bestand aus dem gleichen Stoff wie Vorhänge und Sitzbezüge nebenan. Zwei weitere Flügeltüren standen offen. Durch die eine gelangte Natalia in ein großes Badezimmer mit einer frei stehenden Wanne. Die zweite Tür führte in einen Ankleideraum. Nachdem Natalia eingetreten war, stellte sie fest, dass man auch von hier ins Bad gelangte.
Der Koffer, den sie von Venedig mitgebracht hatte, war bereits ausgeräumt worden. Hinter den Türen der Wandschränke mussten neben den Kostümen, die sie gern trug, die neuen Sachen hängen, die der König ihr zur Verfügung stellte. Sich innerlich wappnend, öffnete Natalia den ersten Schrank – und schloss dann die Türen sofort wieder.
Ein Blick auf die steifen Abendkleider aus Satin und die streng geschnittenen Seidenkostüme reichte ihr. Diese Sachen passten einfach nicht zu ihr. Dunkelbraun, Jadegrün und Taubenblau standen ihr nicht. Keine dieser Farben gefiel ihr. Sehnsüchtig dachte Natalia an ihre eigenen Sachen, weiche und bequeme Kleidung aus natürlichen Stoffen und in heiteren Farben. Darin fühlte sie sich wohl.
Natürlich durfte sie den König nicht beleidigen, indem sie die Kleider im Schrank hängen ließ. Schließlich machte König Giorgio ihr damit ein großzügiges Geschenk, auch wenn die Kleider vermutlich mehr im Hinblick auf das Image des Königshauses ausgesucht worden waren und ohne Rücksicht auf den Geschmack der Trägerin.
Diese Kleider stammten sicher aus den besten Designateliers, sie waren kunstvoll mit echten Perlen und Diamanten verziert worden. Und diese Garderobe verkörperte alles, was Natalia an der Monarchie und ihrer Beziehung zum Volk von San Rinaldi ändern wollte.
Aufrichtigen Respekt gewannen Mitglieder des Königshauses Natalias Überzeugung nach nur durch ihre Lebensweise. Wer sich ernsthaft für sein Land interessierte, kümmerte sich um die Belange des Volkes. Und ganz sicher sollte niemand mehr nur wegen seiner Macht, seines Reichtums und des gesellschaftlichen Standes gefürchtet und bewundert werden.
5. KAPITEL
„Mein Sohn“, sagte König Giorgio bewegt, schüttelte ungläubig den Kopf und drückte Kadir die Hand. „Ich kann es sogar jetzt noch nicht glauben. Es ist wie ein Wunder.“ Der weiche Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht. „Deine Mutter hatte kein Recht, mir deine Existenz zu verschweigen“, fuhr der König ernst fort. „Aber so sind Frauen eben. Einerseits sind sie bezaubernde Wesen. Andererseits darf man sich nicht darauf verlassen, dass sie logisch denken oder sich entsprechend verhalten. Meiner Meinung nach sollte sich deshalb kein Mann zu stark von einer Frau beeinflussen lassen. Aber dir, Kadir, wird so etwas nicht passieren. Das sehe ich dir an.“
Kadir sah, wie der König beinahe von seinen Gefühlen überwältigt wurde.
„Kaum vorstellbar.“ König Giorgio wischte sich unauffällig über die Augen und schüttelte wieder den Kopf. „Ich war schon am Verzweifeln, weil ich niemanden fand, der nach mir San Rinaldi regiert. Und dann erfuhr ich, dass es dich gibt, den Besten und Geeignetsten von allen. Mein Sohn … mein Sohn“, wiederholte er bewegt und drückte Kadirs Arm. „Deine Mutter hat uns einen schlechten Dienst erwiesen, indem sie dir nicht schon früher die Wahrheit gesagt hat. Deine wahre Herkunft hättest du viel früher kennenlernen sollen.“
In den Worten seines Vaters hörte Kadir die gleiche Bitterkeit und den gleichen Zorn mitschwingen, die auch er empfand. Sie waren sich zumindest in dieser Hinsicht schon mal sehr ähnlich.
Bewusst hatte Kadir entschieden, früher als vereinbart im Palast einzutreffen – mit der Frau in Venedig hatte die eilige Abreise überhaupt nichts zu tun. Und seit er nun hier war, kämpfte er dagegen, sich vorzustellen, wie seine Mutter als junge Frau dem sinnlichen Charme des mächtigen Königs von San Rinaldi erlegen war. Solche Ideen wollte Kadir nicht mit seiner Mutter in Verbindung bringen. Genauso stark sträubte er sich dagegen, sich an die Masseurin und die leidenschaftliche Zeit in Venedig zu erinnern.
„Hätte deine Mutter es sich nicht im letzten Moment anders überlegt und dir die Wahrheit
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