Ein König für San Rinaldi
von Königin Sophia und …“
„Mein Sohn wird sie kaum stehlen“, wehrte der König unwillig ab. „Also, Kadir, du hast meine Erlaubnis, Natalia zu ihren Räumen zu begleiten.“
Offenbar hatte der König den Einwand der Gräfin missverstanden. Natalia seufzte. Er trug keine schwere Halskette und war auch in kein enges Kleid eingeschnürt, in dem ihm nach einer Stunde die Rippen wehtaten.
An den wissenden amüsierten Blicken, die die Anwesenden und König Giorgio tauschten, erkannte sie, was die anderen dachten: dass Kadir mit seiner Verlobten einige Zeit zu zweit genießen wollte. Obwohl sie es besser wusste, ließ Natalia sich nichts anmerken. Stattdessen legte sie die Fingerspitzen auf den Arm, den Kadir ihr hinhielt, und ließ sich von ihm zum Ausgang führen.
Allmählich gewöhnte sie sich an den Gedanken, dass sie im Palast ständig von Menschen umgeben und kaum allein sein würde. Zwei Uniformierte nahmen Haltung an, als sie und Kadir den Saal verließen. Ein livrierter Bediensteter wich rasch zur Seite und ließ sie vorbei.
„Meine Zofen werden in meinen Räumen auf mich warten, um mir beim Ausziehen zu helfen“, sagte Natalia, ohne Kadir anzusehen. „Was immer du mir also unter vier Augen sagen willst, solltest du jetzt zur Sprache bringen.“
„Was immer ich dir sagen will?“, entgegnete er scharf. „Liegt das nicht auf der Hand? Es ist wohl glasklar, dass ich von dir eine Erklärung erwarte!“
„Wir haben uns heute als zukünftiges Ehepaar kennengelernt“, erwiderte Natalia ruhig. „Alles, was davor passierte, hat nichts mit der arrangierten Ehe zu tun.“ Hoffentlich merkte er nicht, dass sie alles andere als überzeugt war von der Behauptung. Von den Schuldgefühlen, die sie plagten, sollte er nichts ahnen. „Du hast kein Recht, von mir eine Erklärung zu verlangen. Und ich habe nicht vor, dir eine zu geben. Ich bestimme allein über mein Leben.“
„Allein?“, wiederholte er geringschätzig. „Interessant, dass du das sagst. Du greifst allzu schnell zu Lügen. Wahrscheinlich tust du das genauso routiniert, wie du jahrelang dein unmoralisches Treiben geheim gehalten und überspielt hast. Hätte ich auch nur den leisesten Verdacht gehabt, was du bist …“
Er bemühte sich nicht, seinen Ärger und seinen Abscheu zu verbergen. Bebend blieb sie stehen und versuchte, sich von ihm zurückzuziehen. Kadir schloss jedoch die Finger um ihre Hand und sah Natalia ins Gesicht. Sie spürte seinen Zorn und die Feindseligkeit, die von ihm ausgingen. Die Luft zwischen ihnen schien zu vibrieren. Allein standen sie sich auf dem Korridor gegenüber. Nie zuvor hatte Natalia sich in der Gegenwart eines Mannes so verwundbar und klein gefühlt.
„Ich will dir ganz offen und ehrlich sagen, was ich bin. Aufrichtig bin ich nämlich, und das schon immer!“, erklärte sie nachdrücklich. „Mein Körper gehört mir, und ich tue, was ich will. So wie ich die Dinge sehe, kann man mir nur eines anlasten. Und zwar nicht, dass ich einen Mann begehrt habe. Nein, ich habe mich lediglich zu dem falschen hingezogen gefühlt.“
„Natürlich hättest du dich anders verhalten, hättest du gewusst, wer ich bin“, hielt er ihr vor.
„Das habe ich nicht gesagt, und das habe ich auch nicht gemeint“, wehrte sie ab. „Ich habe mich geirrt, so viel steht fest. Denn ich habe zu spät erkannt, dass du meiner nicht wert bist. Du findest, ich soll mich schämen, und gibst mir die Schuld. Nur bildest du dir dabei lediglich ein, ich hätte dich hintergangen oder was auch immer. Falls man mir überhaupt etwas vorwerfen kann, dann nur, dass ich mir selbst geschadet habe. Ich hätte nämlich wissen müssen, dass eine unabhängige Frau mit meiner Weltanschauung keine Beziehung mit einem Mann wie dir eingehen kann.“
„Du wagst es, so mit mir zu sprechen?“, fragte er eisig. „Und das, nachdem du dich verhalten hast, wie keine Frau mit Anstand es je tun würde!“
„Eine Frau mit Anstand? Was weißt du schon von den moralischen Grundsätzen einer Frau! Gar nichts“, warf sie ihm vor. „Du weißt doch nur, was du wissen willst. Dir geht es darum, dass eine Frau gehorcht und sich deinem Willen unterwirft. Die Wertvorstellungen einer Frau formt sie aber selbst. Was sie sich gegenüber vertreten kann, womit sie leben kann, das macht jede Frau mit sich aus. Schließlich muss jeder für sich erkennen, was für ihn richtig ist oder eben nicht.“
Dass Kadir keinen blassen Schimmer von einem selbst-bestimmten Leben
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