Ein König wird beseitigt
dem erhaltenen Befehle Folge leisten und erstatten hiermit unter ausdrücklicher Berufung auf den von ihnen geleisteten Eid, ihrer schweren Verantwortlichkeit vollkommen bewußt, nach Pflicht und Gewissen das verlangte Gutachten, wobei sie bemerken, daß eine persönliche Untersuchung Seiner Majestät, was weiter auseinanderzusetzen überflüßig sein wird, unthunlich, bei dem vorliegenden Aktenmaterial aber auch nicht nothwendig war.
Zunächst darf an die notorische Thatsache erinnert werden, daß eine Tante Seiner Majestät, Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Alexandra eine lange Reihe von Jahren (bis zum erfolgten Tode) an unheilbarer Geisteskrankheit litt. Ist hierauf auch nicht allzugroßes Gewicht zu legen, so muß um so mehr hervorgehoben werden, daß auch der jüngere Bruder Seiner Majestät, Seine Königliche Hoheit Prinz Otto von Bayern, unheilbar geisteskrank ist, daß Höchstdessen Erkrankung in ihren Anfängen sich bis in die Jugend verfolgen und Züge erkennen läßt, deren Verwandtschaft mit gewissen Erscheinungen bei Seiner Majestät sich unwillkürlich und unabweisbar aufdrängt.
Dem mitunterzeichneten Obermedizinalrath von Gudden klagte Seine Königliche Hoheit zu einer noch relativ freien Zeit, daß Höchstdessen qualvolle Zustände von Angst und innerer Unruhe sich vorübergehend schon in früher Jugend bemerkbar gemacht hätten, daß beispielsweise es Seiner Königlichen Hoheit als Lieutenant mit 17 Jahren bei der ersten Residenzwache, als Münchener Einwohner voll freudigerTheilnahme sich sammelten und zuschauten, zu Muthe gewesen sei, als ständen Höchstderselbe am «Schandpfahle»; dabei leiden Seine Königliche Hoheit an den widerwärtigsten Empfindungen in der Brust und im Unterleibe, an Hallucinationen sämmtlicher Sinne, an motorischen Erregungen, die sich in den verschiedensten schleudernden und springenden Bewegungen der Arme und Beine äußern, sind nicht selten gemüthlich in hohem Grade gereizt und zu Gewaltthätigkeiten geneigt, dabei, im Gegensatze und gewissermaßen im Gegengewichte zu so manchen niederdrückenden Empfindungen und Vorstellungen, nicht selten von einem so außerordentlich gesteigerten Bewußtsein Höchst-Seiner Stellung durchdrungen, daß Aeußerungen, wie «Niemand hat mir zu befehlen, selbst der König nicht» öfters vernommen und alle Bemühungen, auf Seine Königliche Hoheit durch ärztlichen Rath oder möglichst schonend getroffene äußere Veranstaltungen einzuwirken, von vorneherein verloren waren.
Auch bei Seiner Majestät scheinen schon früher ähnliche Anwandlungen von innerer Angst und Aufregung sich eingestellt zu haben. Seine Königliche Hoheit Prinz Otto theilte dem mitunterzeichneten Obermedizinalrathe von Gudden gelegentlich seiner eigenen bezüglichen Klagen mit, daß Seine Majestät an demselben Übel litten. Seine Majestät seien überhaupt sehr ängstlich und hätten bei den Spaziergängen im englischen Garten Seiner Königl. Hoheit oft den Auftrag gegeben, ja darauf Acht zu geben, daß keine Begegnung mit Anderen stattfände. Auch der verstorbene Staatsrath von Neumayr theilte demselben Arzte mit, wie schwer mitunter schon relativ kurze Zeit nach der Thronbesteigung bei dem Besuche der fränkischen Kreise es gehalten habe, Seine Majestät zu bewegen, an die Öffentlichkeit zu treten. Im Jahre 1872 wurde Herr Ministerialrath von Ziegler in das Kabinetssekretariat berufen. Derselbe hörte (vergl. dessen Aeußerungen Bogen 1) von Staatsrath Eisenhart und von Personen des Hofes, wie schwer es Seine Majestät ankomme, Audienzen zu ertheilen, insbesondere solche staatsgeschäftlicher Natur. Die Scheu vor Begegnungen mit Menschen trat mehr und mehr zu Tage (1. c), die Besuche der Kirche in Berg wurden immer seltener, endlich ließen Seine Majestät im abgeschlossenen Parke zu Berg ein romantisches Kirchlein bauen und sich die Messe lesen, ohne daß derselben irgend Jemand beiwohnen durfte. (Bogen 2.) Um keinen Menschen im Theater sehen zu müssen, kam es zu den bekannten Separatvorstellungen (vgl. Äußerung des k. Stallmeisters Hornig Blatt 5, auch die des k. Ministerialrathes von Ziegler Bogen 2). Der Verkehr mit Menschen wurde Seiner Majestät immer entsetzlicher (v. Ziegler Bogen 6). Nach Ablauf des Hohenschwangauer Winteraufenthaltes nach München zurückzukehren, war für Seine Majestät fürchterlich. Der Aufenthalt in Hohenschwangau wurde deßhalb immer weiter ausgedehnt, und von 1876 bis 1883 nach und nach um einen Monat verlängert. Die
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