Ein koestliches Spiel
Maßstäben, meinte ich. Du hast doch nicht geglaubt, ich würde dich zu einer faden Angelegenheit bringen, oder?“
Prudence musste lachen, dachte aber gleichzeitig, dass das hier genau das war, was Phillip mit „öffentlich“ gemeint hatte. Doch jetzt war es zu spät, denn sie waren schon an der Eingangstür angekommen.
Die Gesellschaft war offensichtlich ein großer Erfolg, denn drinnen herrschte trotz der frühen Stunde bereits dichtes Gedränge. Die Eingangshalle und der große Salon waren voller Menschen, die miteinander lachten und scherzten. Lady Gosforth, eine hochgewachsene Matrone mit römischer Nase, stand am Fuße der Treppe und begrüßte ihre Gäste. Prudence fand, dass sie ziemlich streng und Furcht einflößend aussah. Dann fiel Lady Gosforths Blick auf sie und ihre Begleiter.
„Gussie!“, rief sie entzückt.
„Maudie!“ Alle Förmlichkeit verschwand, als die beiden Damen mittleren Alters sich wie aufgeregte Schulmädchen umarmten und fröhlich durcheinanderschwätzten. Allerdings zwang der nicht abreißende Strom eintreffender Gäste Lady Gosforth bald schon, sich wieder ihren Pflichten als Gastgeberin zuzuwenden. „Bitte bleibe hier bei mir, liebste Gussie, dann werde ich dich allen vorstellen. Es ist so eine Ewigkeit her, seit du das letzte Mal in England warst, dass du viele lange nicht gesehen hast!“
Sie blickte zu Lord Carradice, der sich erneut Prudences Hand bemächtigt und sie sich wieder auf den Arm gelegt hatte, sobald sie mit ihrem Knicks fertig war. Ihre scharfsichtigen blauen Augen ruhten nachdenklich auf Prudence, dann wanderte ihr Blick zu ihren Schwestern. „Ich sehe, Sie haben keine Zeit verschwendet, die neuesten Schönheiten der Gesellschaft kennenzulernen, Carradice. Sir Oswald, meinen Glückwunsch. Diese engelgleichen Zwillinge werden einen Aufruhr heraufbeschwören, wenn sie ihr Debüt haben. Genießt meine kleine Feier, Mädchen. Gussie, bleib bei mir stehen, ich möchte alles ganz genau erfahren.“
Gussie stimmte begeistert zu, sandte die Mädchen und Gideon voraus und versprach, später wieder zu ihnen zu stoßen.
Es war sehr eng in dem überfüllten Empfangssalon. Während sie sich ihren Weg durch das Gedränge bahnten, wurde Großonkel Oswald von ihnen getrennt. Lord Carradice fasste Prudences Ellbogen beschützend und steuerte sie durch die Menge, die Zwillinge folgten in ihrem Fahrwasser. Er wurde von vielen Gästen gegrüßt, die meisten davon Frauen. Zahllose Herren, die von Hope zu Faith und wieder zurück blickten, drängten ebenfalls vorwärts, sich plötzlich daran erinnernd, dass Lord Carradice zu ihren Bekannten zählte, mit der Bitte, den unbekannten Schönheiten vorgestellt zu werden. Schließlich erreichten sie aber doch einen weniger überfüllten Raum mit offen stehenden französischen Fenstern, durch die man auf die Terrasse und in den Garten gelangte. Auf der einen Seite befand sich ein schmaler Alkoven, in dem ein paar Stühle standen.
„Wenn Sie alle hier warten wollen“, sagte Lord Carradice, „werde ich mich um Erfrischungen kümmern. Ein Glas Champagner, Miss Merridew? Ratafia für Sie beide, fürchte ich, Miss Hope und Miss Faith.“
Er zeigte sein bestes förmliches Benehmen, und Prudence fragte sich, warum sie sich dabei so einsam fühlte. Bedachte man ihre Zweifel, war Förmlichkeit das sicherste und am wenigsten beunruhigende Verhalten. Aber trotzdem war sie niedergeschlagen und nicht in der Stimmung für Gesellschaften. Sie schaute ihm nach, als er im Gedränge verschwand.
Sogleich waren sie von einer Gruppe junger Herren umringt. Sie standen um die Zwillinge herum, bestürmten sie mit Fragen und konkurrierten um ihre Aufmerksamkeit. Prudence fand sich bald schon am äußeren Rand des Kreises wieder. Sie fühlte sich wie die Anstandsdame, die sie immer für sie hatte sein wollen. Doch nun hatte sie gespürt, wie es war, umworben zu werden, und jetzt wieder in die Rolle der unscheinbaren Schwester zurückzuschlüpfen, war schwerer, als sie erwartet hatte.
Es gab nur einen Mann, den sie wollte; sie betete darum, dass er ebenso für sie empfand. Bis das geklärt war ...
Sie trat einen Schritt zur Seite und genoss es, ihre Schwestern bei ihrem ersten Erfolg in der vornehmen Gesellschaft zu beobachten. Besonders Hope hatte sich so lange danach gesehnt. Sie war nicht länger das ungeschickte, trotzige junge Mädchen, das sie auf Dereham Court gewesen war. Jetzt war sie ein Ausbund an Anmut und Liebreiz, und ihre Ausstrahlung
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