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Ein Komet fält vom Himmel

Ein Komet fält vom Himmel

Titel: Ein Komet fält vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mund weit auf, stöhnte schrecklich und zuckte mit den gefesselten Armen und Beinen. Die unsagbare Not, die in ihm war, kam ihm zu Hilfe und ließ sogar Schaum vor seinen Mund treten. »Anhalten, rechts ran!« sagte einer der Krankenpfleger. »Sauerstoff her, Verdammt, er kollabiert! Anhalten!«
    Der Wagen war kein Krankenwagen üblicher Art, sondern ein einfacher, umgebauter VW-Bus, mit dem man sonst harmlose Patienten hinaus zu den Klinikgärtnereien brachte, wo sie leichte Arbeit taten, Blumenstecklinge pikierten, Salate und Gemüse pflegten und bei der Kartoffelernte halfen. Für alle Fälle hing eine Sauerstoffflasche an einem Haken an der Wagenwand mit einem einfachen Atmungstrichter aus Plexiglas.
    Man hatte sie bisher nie gebraucht. Nervenkranke zu transportieren, ist eine andere Sache, als schwerkranke, akute Fälle in die Klinik zu bringen. Was brauchte man da eine Notarzteinrichtung? Jetzt aber zeigte sich, daß es doch zu dramatischen Zwischenfällen kommen konnte. Die beiden Pfleger starrten den nach Atem ringenden Peter Pohle an, der Fahrer stoppte am Straßenrand und drehte sich um.
    »Kratzt er ab?« fragte er. Der Ton gegenüber Geisteskranken ist nie der beste.
    »Mensch, halt's Maul!« schrie der eine Pfleger. Er nestelte die Sauerstoffflasche los, während der andere die Zwangsjacke löste und Pohles Hände und Beine aus den Schlingen befreite. Dann riß er ihm das Hemd über der Brust auf und begann, den Brustkorb zu massieren.
    Peter Pohle röchelte weiter, aber unter den fast geschlossenen Lidern hervor beobachtete er seine Wärter. Als sich beide um den klemmenden Verschluß der Sauerstoffflasche bemühten – sie war bisher nie auf ihre Einsatzfähigkeit geprüft worden – und der Fahrer sich eine Zigarette ansteckte, wagte Pohle das Äußerste: Er schnellte hoch, faßte die beiden ebenso verblüfften wie gelähmten Wärter, schlug ihre Köpfe gegeneinander, riß die Tür auf und sprang aus dem Wagen.
    Ehe der Fahrer schreien konnte: »Festhalten! Festhalten!«, war er bereits auf der Straße, warf die geöffnete Zwangsjacke ab und lief ein paar Meter bis zu einer Kaufhalle, wo er im Gewühl der Menschen untertauchte. Wie Herp Masters erkannte er, daß man unter der Masse Mensch am sichersten ist, lief ohne Hast zu dem sich gerade öffnenden Fahrstuhl, fuhr in die zweite Etage, von dort mit der Rolltreppe zur anderen Seite wieder hinunter und verließ durch den hinteren Ausgang die Kaufhalle. Er sah noch, hinter einer der mit Tannengrün und bunten Weihnachtskugeln geschmückten Säulen stehend, wie der Fahrer und die zwei Wärter aufgeregt mit einem der Abteilungsleiter sprachen. Anscheinend verlangten sie einen Alarm und die Schließung aller Ausgänge durch die automatischen Gitter. Der Abteilungsleiter schüttelte energisch den Kopf.
    Zufrieden ging Peter Pohle hinaus auf die Straße. Es hatte zu schneien begonnen, dicke, herrliche Flocken, die sich wie Samt anfühlten. Der Winter war gekommen, die Zeitungen prophezeiten eine weiße Weihnacht, nachdem schon im November so viel Schnee wie seit 26 Jahren nicht gefallen war und Deutschland unter einer Schneedecke fast erstickt wäre. Inzwischen war alles weggetaut – aber jetzt kam der Winter zurück und mit ihm die herrliche, selige Weihnachtsstimmung …
    Peter Pohle schlug den Jackenkragen hoch, senkte den Kopf und lief gegen die Schneeflocken an. Ein paar Fußgänger sahen ihm erstaunt nach. Ein Mann ohne Mantel und Hut, bei diesem Wetter? Dann gingen sie weiter. Holt sich sicherlich Zigaretten, dachten sie. Nur ein Sprung über die Straße …
    Wohin, dachte Pohle, während er, immer an den Hauswänden entlang, weiterrannte. Wo kann man sich verkriechen? In einem Hotel? Er blieb stehen, griff in die Taschen und merkte, daß man ihm schon zu Hause alles abgenommen hatte. Geldbörse, Feuerzeug, das Kleingeld in der Rocktasche, sogar die Ausweise … alles hatten die Krankenpfleger in einen weißen Beutel getan, auf dem die Nummer III/4 stand. Der Patient Nummer 4 auf der Station III.
    Pohle stellte sich in einem Hauseingang unter und dachte nach.
    Es gab eine Reihe Kollegen, bei denen er unterkriechen konnte, aber er war sich nicht sicher, ob sie nicht doch zum Telefon greifen und verraten würden, wo der gesuchte Peter Pohle sich aufhielt.
    Wie einsam ist man plötzlich, dachte er bitter. Wie ein streunender Hund. Aber selbst einem solchen Hund wirft man ab und zu etwas zu fressen hin, und er kann sich in eine warme Ecke verkriechen

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