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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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um ihren unaufhaltsamen Selbstmord anzuheizen. Sie werden das Gas bekommen, und wir werden dasitzen und sie beobachten und warten … warten … bis sie an ihrem Überfluß erstickt sind.« Jachjajew verschluckte sich an seinem Speichel, hustete heftig und starrte dann Abukow wie entgeistert an. »Ja, was ist denn das? Sind Sie gekommen, um einen Lehrgang in Politik mitzumachen? Victor Juwanowitsch …« Jachjajew beugte sich über den Tisch und blinzelte Abukow zu: »Wenn der Irrsinn des Theaters tatsächlich verwirklicht werden sollte, sind Sie oft in Tjumen …«
    »Das ist fast sicher. Was muß nicht alles beschafft werden?«
    »Haben Sie das Modegeschäft in der Kubanskaja gesehen?«
    »Ich habe davorgestanden und bin dann hineingegangen, weil ich mich für einen Frack und ein Abendkleid im Fenster interessierte. Das kaufen fast nur Künstler, sagte man mir.« Abukow blinzelte über den Tisch zurück. »Daran erkennt man, Genosse, wie wichtig die Kunst in unserem Leben ist! Alle Türen öffnen sich …«
    »Das ist es!« Jachjajew lehnte sich zurück und blickte gegen die Zimmerdecke. »Man soll seine Ohren nicht logischen Argumenten verschließen. So wäre es denkbar, daß man ein luftiges modernes Kleidchen als Theaterkostüm einkauft …«
    »Und bei einem Winterstück braucht man Pelze«, sagte Abukow leichthin.
    »Könnten Sie sich an die Kleidergröße der Genossin Tichonowa erinnern?«
    »Jederzeit. Ich sehe ihren herrlichen Körper sofort vor mir, wenn ich an sie denke.«
    »Jetzt weiß ich, warum Sie mir sofort sympathisch waren«, meinte Jachjajew, goß neuen Krimwein ein und hob sein Glas Abukow entgegen. »Mit Ihnen kann man sprechen wie mit sich selbst. Verständnis überall! Sprechen wir doch Ihren Theaterplan genauer durch …«
    Abukow trank sein Glas leer und schloß dabei die Augen. Von innen her brannten sie ihm. Das Tor ist auf, dachte er glücklich. Wir werden im Lager eine Kirche haben mit den Kulissen eines Theaters. Wir werden singen und beten können in bunten Kostümen. Ein Kreuz in Sibirien …

7
    Wieder in Surgut, saß Abukow trübsinnig in seinem Zimmerchen im Genossenschaftshaus, starrte gegen die Wand, auf den Kunststoffboden oder gegen die gekalkte Decke und fragte sich zum ungezählten Male, ob Larissa ihre Drohung wahr machte und die von Kommandant Rassim bis zum Zusammenbruch gequälten Sträflinge hinaus in die Wälder und Sümpfe jagte. Er aß kaum etwas, und wenn ihn jemand ansprach: »Hallo, Brüderchen, so trüb? Sonntag ist's! Komm mit, im Haus des Volkes spielt die Militärkapelle. Tanzen kann man! Was Beine hat – vor allem, was Röcke trägt – versammelt sich da. Bist doch ein strammer Kerl, Victor Juwanowitsch. Kein Jucken in der Hose?« … dann schüttelte Abukow den Kopf und antwortete: »Geht allein. Irgend etwas mit meinem Magen ist los. Als wenn ich einen Stein verschluckt hätte. Geht ohne mich. Viel Spaß, liebe Freunde!«
    »Gieß dir zweihundert Gramm Wodka hinein, und alle Steine lösen sich auf«, lachten die anderen. »Ein paarmal kräftig furzen, das hilft! Und dann kommst du nach. Ich sag dir, die schönsten Hürchen von Surgut triffst du heute im Volkshaus …«
    Abukow befolgte den Rat und kaufte in der Kantine fünfhundert Gramm Wodka. Er setzte die Flasche an den Mund und trank. Die ersten drei Schlucke schienen ihn zu verbrennen und zu zerreißen; fast fiel er von der Pritsche, riß den Mund weit auf und saugte die Luft ein, als sei er gerade einer Schlinge entronnen. Der vierte Schluck glitt dann von ganz allein durch die Kehle, und der fünfte tat gut, schmeckte sogar und breitete sich wohlig in seinem Inneren aus. Dann spürte er, wie der Alkohol in seinen Kopf stieg und das Gehirn angriff und wie die Welt und alle Probleme leichter, übersichtlicher und weniger dramatisch wurden.
    Das ist gut, dachte Abukow. Mein Gott, wieso ist das gut? Bin ich zum Säufer geboren und habe es nie bemerkt? Fünf tiefe Schlucke Wodka, und die Welt wird erträglich? Wo bin ich hingekommen? Er warf sich auf den Rücken und war froh, daß die vier Fahrer, die auf dem gleichen Flur ihre Zimmer hatten, zum Tanzen weggegangen waren. Abukow bewohnte diesen Raum erst seit zwei Tagen. Bei seiner Rückkehr aus dem Lager JaZ 451/1 hatte man ihm in der Transportzentrale gesagt: »Mein lieber Abukow, endlich haben wir ein schönes Zimmer für dich. Kannst raus aus dem Schlafsaal. Wohnst jetzt im Genossenschaftshaus. Der Genosse vor dir im Zimmer ist strafversetzt nach

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