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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Unwillkürlich durchlief ein Schauer den Körper Abukows; er mußte daran denken, daß diese Hand auch Verfügungen unterschrieb, die über Leben und Tod entschieden. »Schon als ich Sie das erstemal ins Lager kommen sah, empfand ich Sympathie für Sie. Ein dämliches Gefühl für mich, Victor Juwanowitsch. Ich finde nie einen anderen Menschen sympathisch. Ich habe keine Freunde – die einen hassen mich, die anderen heucheln Freundlichkeit, weil sie mich brauchen. Genau durchschaue ich sie! Sie haben Angst vor mir. Ich sage: mit Recht! Und da kommen Sie, Abukow, und ich finde Sie sympathisch. Wie kann man das erklären?«
    »Vielleicht ist es das, daß ich einen Kühlwagen mit dem für diese verfluchte Gegend wertvollsten Inhalt fahre?«
    »Ein kluger Mensch sind Sie außerdem auch noch!« sagte Jachjajew und lächelte breit. »Haben Sie etwas Zeit für mich?«
    »Jetzt? Soviel Sie wollen, Genosse.«
    »Kommen Sie zu mir? Wir spielen eine Partie Schach und trinken einen guten Wein. Ich weiß, daß Sie ein guter Spieler sind; daß Sie Rassim besiegt haben, hat sich sofort herumgesprochen. Wollen wir doch mal sehen, ob Sie auch mich schlagen!«
    Ein langer Abend wurde es. Jachjajew holte tatsächlich einen guten Krimwein aus dem Schrank und erwies sich als ein harter Schachspieler. Abukow tat ihm den Gefallen und verlor die erste Partie. Der kleine Dicke war begeistert, rieb sich die Hände und kam dann endlich zum Kern der ganzen Freundlichkeit:
    »Sie sind ein freierer Mensch als ich, Abukow«, sagte er. »Mein Lebensraum ist eng: Surgut und das verfluchte Lager hier! Genau betrachtet ist mein Dasein wie eine Verbannung. Das Leben draußen in der Welt kommt nur durch das Radio, durch die Zeitungen und das Telefon zu mir herein. Wann kann ich mal nach Tjumen fliegen? Zweimal im Jahr, zum großen Lagebericht. Sie aber kommen öfter nach Tjumen, ist es so?«
    »Das hängt von vielen Neuerungen ab«, erwiderte Abukow vorsichtig. »Meine Strecke ist sonst nur Surgut – Nowo Wostokiny. Genauso eingepreßt in einen engen Raum. Und das im größten Teil dieser Erde, in Sibirien! Aber ich könnte öfter nach Tjumen oder sogar nach Perm fliegen; es bedarf nur des Wohlwollens von Oberstleutnant Rassim.«
    »Schon wieder Rassim! Was hat er mit Ihnen zu tun? Sie unterstehen ihm in keiner Weise. Er gehört zum Militär, Sie sind Zivilist.« Jachjajew hob die Augenbrauen. Seine Fischaugen quollen etwas vor. »Hat er versucht, Ihnen Befehle zu erteilen? Was hat er befohlen? Wollte er über den Kühlwagen verfügen?« Jachjajew atmete schwer. Wenn Abukow das bestätigte, hatte er Rassim in der Hand.
    »Aber nein!« Abukow stellte die Schachfiguren wieder auf für ein neues Spiel. »Ich hatte da eine Idee, und mit dieser Idee war ich schon beim Kulturbeauftragten in Tjumen und bekam nach langen Vorträgen einige Empfehlungen mit, die mir große Hoffnungen machten. Es liegt an Rassim, ob man die Ideen verwirklichen kann.«
    »Ich weiß.« Jachjajew lehnte sich enttäuscht zurück. »Das Lagertheater.«
    »Sie haben schon davon gehört?«
    »Merken Sie sich eins, Abukow: Was im Umkreis von einigen hundert Werst geflüstert wird, das höre ich! Und was ich nicht unmittelbar höre, das flüstert man mir ins Ohr.« Jachjajew grinste geschmeichelt, als er Abukows beifälligen Blick sah. »Ich habe es von Mustai gehört, von Gribow, von Nina Pawlowna und natürlich auch von Rassim. – Geben Sie es zu, Victor Juwanowitsch: ein total irrer Plan! Theater in einem Totenhaus! Am Tage wird bis zum Umfallen geschuftet und gehungert, und am Abend stehen die gleichen Jammergestalten auf einer Bühne und vor bunten Kulissen und spielen ›Die Jungfrau von Orleans‹!«
    »Oder singen die Oper ›Fürst Igor‹ …«
    »Mit großem Orchester.«
    »Wie es sich gehört. Unter den Sträflingen gibt es Spieler für jedes Instrument.«
    »Kann man vielleicht Posaune durch die hohle Hand blasen?«
    »Man könnte es. Die Phantasie ist grenzenlos. Es könnten hundert Musiker auf selbstgeschnitzten Flöten blasen, auf leere Kürbisse trommeln, gegen Blechdeckel schlagen und mit den Lippen die Geigen nachahmen – man wird ihnen verzückt zuhören und im Ohr den Klang eines Sinfonieorchesters haben. Besser allerdings sind richtige Instrumente, und die kauft man unbehindert in Tjumen. Ich habe mich selbst davon überzeugt. Ich habe vor den Schaufenstern gestanden. Ich war in den Geschäften, wo man Stoffe kaufen kann für die Kostüme, Pappen und Farben für

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