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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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451/1, denn zehn Stunden lang täglich sind diese tausend Elenden seinem Befehl unterworfen.
    Morosow, Wladimir Alexejewitsch, gehört zu uns! Man soll nie nachlassen, an Wunder zu glauben.
    »Wir haben seit einigen Wochen sogar einen neuen Priester«, sagte sie leise. »Pjotr, der frühere, wurde von einer Eisenbahnschwelle erschlagen. Im vorigen Winter.«
    »Ihr habt einen Priester? Einen richtigen Priester?« Morosow wischte sich über die Augen. »Einen orthodoxen? Ich bin Katholik.«
    »Er hat die katholischen und die orthodoxen Weihen.«
    »Wo finde ich ihn?« fragte Morosow heiser.
    »Ich nehme an, er wird einmal auch zu Ihnen kommen.«
    »Einmal! Ich brauche ihn jetzt!« Morosow war es auf einmal noch heißer, er knöpfte sein Hemd auf und stellte sich unter den wirbelnden Luftstrom des Deckenventilators. »Larissa Dawidowna, wenn Sie wüßten, wie es in mir aussieht! So stark wirke ich, dabei ist alles nur Fassade. Wo kann ich den Priester sehen?«
    »Ich werde ihm berichten, daß Sie ein Katholik sind«, sagte die Tschakowskaja ausweichend. Zu schnell riß Morosow seine Maske ab und offenbarte einen Menschen, der einsam schien und nach innerer Kraft jagte. »Dann wird er kommen, das weiß ich. Wie werden Sie staunen, Wladimir Alexejewitsch!«
    »Ich kenne ihn?«
    Die Tschakowskaja hob die Hand. »Genug der Fragen, Wladimir Alexejewitsch. Lassen Sie uns zu meinen Männern fahren!«
    Sie verließen die Baracke durch den hinteren Eingang, wo Morosows Geländewagen stand, eine Spezialkonstruktion aus den sowjetischen Fiatwerken; ein Fahrzeug, für das es keine Hindernisse gab. Morosow klappte trotz der Hitze das Faltverdeck hoch und hakte es ein. Vom Rücksitz holte er zwei großkrempige Strohhüte mit langen Moskitoschleiern und hielt einen der Tschakowskaja hin.
    »Setzen Sie das auf, Larissa Dawidowna«, sagte er und stülpte sich selbst den Strohhut über, ordnete das Moskitonetz vor seinem Gesicht und sah nun wie ein Imker aus, der den Bienen den Honig wegnehmen will. »Wir kommen in eine Welt, wo es keine Luft mehr gibt, nur noch Schwärme von Myriaden Mücken. Das haben Sie noch nicht gesehen.«
    »Ich kenne die zerstochenen Körper meiner Männer. Einige quellen auf wie Ballons. Die Arbeitsbrigaden haben keine Moskitonetze im Sumpf?«
    »Larissa!« Morosow lachte gequält und setzte sich hinter das Lenkrad. »Tausend Strohhüte mit Netzen – stellen Sie mal diesen Antrag an die Hauptverwaltung. Eine Einweisung zum Psychiater werden Sie erhalten, mehr nicht!«
    »Wer macht denen da oben endlich diese Unlogik klar«, rief sie kampfeslustig und setzte sich neben Morosow. »Zu Hunderttausenden transportieren sie die Sträflinge nach Sibirien, weil sie die billigste Arbeitskraft sind, und was tun sie dann? Sie vernichten systematisch diese Kraft! Das ist schizophren.«
    »Das ist Methode, Larissa! Man verbindet den Ausbau der Sowjetmacht mit der Liquidierung der Systemgegner. Rußland besitzt noch genug Menschen, die man dazu verurteilen kann, Sibirien zu erobern.«
    »Es heißt, für den Bau der Erdgasleitung hätten sich 30.000 junge Freiwillige gemeldet. Ganze Jugendgruppen und Komsomolzenkader. Eine ungeheure Begeisterung für das Projekt durchzöge das Land.«
    »Das stimmt.« Morosow ließ den Geländewagen an. »Aber was sind 30.000, wenn man für über 4.000 Kilometer Leitung Hunderttausende braucht? Nach dem 5-Jahres-Plan 1981 bis 1985 werden von hier, genau von hier, im Norden von Tjumen aus, in die westlichen Gebiete des europäischen Teils der Union sechs Erdgasfernleitungen verlegt. Das sind 20.000 Kilometer Röhren, 20.000 Kilometer Trasse, 20.000 Kilometer neue Straßen. Allein 450 Kilometer führen durch Felsgestein bei großen Höhenunterschieden. Ich frage Sie, Larissa Dawidowna: Was sind da 30.000 Freiwillige? Wie kann man diesen gigantischen Plan ohne Sträflinge verwirklichen? Zum Glück haben wir genug davon, oder sie sind leicht zu beschaffen.«
    Es klang bitter und elend. Der Wagen rollte an, fuhr zur Vorderseite der Baracke. Aber bevor Morosow auf den befestigten Weg einbog, mußte er bremsen, denn seine Sekretärin lehnte sich weit aus dem Fenster und winkte ihrem Chef mit beiden Armen zu. Auf ihren Haaren lag Sonnenglanz, und bei dieser vorgebeugten Haltung sah man ungehindert Novellas Brust in der weit aufgeknöpften Bluse.
    »Muß sie sich wie eine Hure benehmen?« fragte Larissa böse. »Wer läuft so rum unter lauter Männern?«
    »Sie ist alles andere als eine Hure«,

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