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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte.
    Rückkehr erst am Montag. Der Samstag und der Sonntag blieben für ein Leben im Lager.
    Abukow war es, als fahre er nicht Hühner, Fleisch, Fett, Käse und Quark in die Wildnis, sondern als stehe hinter ihm eine Kirche auf den Achsen, die er zu den Verdammten schleppte.
    Der Tod des Juristen Ilja Kriwow hinterließ bei Oberstleutnant Rassim nur eine erwartungsvolle Spannung. Die Tschakowskaja war zu ihm gekommen, ganz steif, ein wahrer Racheengel, und hatte leise und mit einem gefährlich drohenden Unterton gesagt:
    »Ein Verbrechen wäre es, diesmal zu schweigen. Nehmen Sie zur Kenntnis, Rassul Sulejmanowitsch, daß ich eine Meldung mache. Nicht nach Perm, sondern nach Moskau!«
    »Wir sollten darüber sprechen, Larissa Dawidowna«, hatte Rassim erstaunlich ruhig erwidert. Aber die Tschakowskaja ließ sich auf kein Gespräch über diesen Fall ein, stürmte aus dem Zimmer und warf die Tür krachend hinter sich zu. Rassim seufzte, sagte laut: »Du hysterische Gans!« und rief Leutnant Sotow zu sich.
    »Ein Idiot sind Sie!« schrie er ihn an. »Natürlich war Kriwow genauso wenig wert wie die anderen – aber die Umstände, Sotow, die Umstände! Die Tschakowskaja meldet jetzt nach Moskau: Im Lager 451/1 werden Häftlinge erschossen, weil sie vögeln. Ob man im Kreml dafür Verständnis hat?!«
    »Einen Befehl hat er verweigert«, sagte Sotow dumpf. »Rebellion war es! Notwehr kann man es nennen …«
    Rassim winkte wütend ab und warf Sotow aus dem Zimmer.
    Am Waldrand, dort, wo auch Pjotr lag, wurde Kriwow begraben, und Professor Polewoi sprach ein Gebet, als er in der Abenddämmerung, nach seinem Hospitaldienst, schnell zum Grab gehen konnte. Zwischen ihm und der Tschakowskaja herrschte eine tiefe Mißstimmung. Mit traurigen Augen sah er sie an, arbeitete still und wortlos. Sie verzichtete ebenfalls darauf, ein Wort an ihn zu richten. Und auch als bekannt wurde, daß Morosow auf Bitten Larissas die Brigaden schonte, als die Suppe im Lager plötzlich dicker war als vorher und für alle Sträflinge fünfzig Gramm Brot mehr verteilt wurden – auch da gab es keine Verständigung mehr zwischen ihnen, keine Brücke. Einmal nur, als sie beide sich im Badezimmer der Station II begegneten, wo Polewoi gerade eine Anzahl Gläser spülte, da sahen sie sich groß an, und Polewoi sagte mit bebender Stimme:
    »Töchterchen, ich verstehe dich nicht mehr!«
    »Keiner versteht mich«, erwiderte sie, und ihr Mund verzog sich, als schluchze sie nach innen. »Keiner! Keiner! Niemand begreift, daß ich auch ein Mensch bin.«
    Am Freitagmittag rollte die Verpflegungskolonne auf den großen Platz vor der Kommandantur. Gribow und Mustai stürzten aus dem Haus, aber der Kühlwagen Nummer 11 war nicht dabei.
    »Was ist passiert?« schrie Mustai und enterte den ersten Lastwagen, riß die Tür auf und spuckte dem armen Fahrer fast ins Gesicht: »Wo ist Victor Juwanowitsch? Sag etwas, Genosse! Ist er krank? Ist er versetzt?«
    Gribow lief herum wie ein geköpftes Huhn, preßte die Hände auf sein geschundenes Herz und rollte schrecklich mit den Augen:
    »Kein Kühlwagen! Was soll ich ohne Kühlwagen? Die Vorräte sind dahin! Genossen, wo ist Abukow?!!!«
    »In einer Stunde folgt er!« rief man zurück. »Glaubt es uns, er kommt nach. Ist heute erst aus Tjumen gelandet. Nur Ruhe, Ruhe, Genossen, euer Fleisch bekommt ihr. Wir sind eine zuverlässige Brigade!«
    Tatsächlich: Nach knapp einer Stunde rollte Abukow mit seinem Kühlwagen in das Lager. Mustai machte einen Luftsprung und weinte fast vor Freude. Am Fenster des Arztzimmers stand die Tschakowskaja und sah durch die schützende Gardine, wie Abukow aus seinem Wagen kletterte.
    Was soll ich ihm sagen? dachte sie. Wird wenigstens er mich verstehen, trotz allem, was geschehen ist?

9
    Abukow ließ sich Zeit. Viel Zeit.
    Zunächst begrüßte er Mustai Jemilianowitsch, als sei er von einem anderen Stern zurückgekommen. Man umarmte und küßte einander und versicherte in vielen glühenden Worten, welch ein Glück es sei, sich wiederzusehen. Dann kam Gribow, der Dicke, an die Reihe. Er keuchte vor Begeisterung und preßte Abukow an sich, war aber trotz aller seelischen Ergriffenheit noch in der Lage, ihm bei der Umarmung ins Ohr zu flüstern: »Bleibt genug für uns übrig, Brüderchen?«
    »Mehr als genug!«
    »O Victor Juwanowitsch, wie habe ich auf dich gewartet!« lachte Gribow glücklich. »Kahl gefressen haben sie mich! Seit einigen Tagen bekommt das ganze Lager die anderthalbfache

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