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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in die Hände seiner vorgesetzten KGB-Behörden fielen. Es waren Vernehmungen, die Jachjajew durchgeführt hatte, nachdem Oberstleutnant Rassim mit seinem Strafappell nichts weiter erreicht hatte als eine Lähmung der so nötigen Arbeitskraft.
    Jachjajew hatte raffinierter vorgehen wollen als der Kommandant. Psychologisch gewissermaßen. Mit Fangfragen, in denen sich die Verhörten verstricken sollten wie in einem eng geknüpften Netz.
    Da hatte er, um nur ein Beispiel zu nennen, den Kriminellen Schimanskow kommen lassen; einen Wegelagerer, der es fertiggebracht hatte, einen Munitionslastwagen der Roten Armee zu klauen, randvoll mit Patronen und zweihundert Maschinenpistolen vom Typ Kalaschnikow. Als man ihn faßte – durch Verrat übrigens –, hatte er bereits alles an Mongolen verkauft, die über den Amur nach Rußland eingesickert waren. Das brachte Schimanskow natürlich die Todesstrafe ein. Aber er war ein kräftiger Bursche, wie für schwere Arbeit geschaffen; vielleicht hatte dies eine Rolle dabei gespielt, daß er zu lebenslanger Zwangsarbeit in Sibirien begnadigt wurde. Im Lager JaZ 451/1 machte er sich sofort nützlich, indem er zwei Kameraden denunzierte, die beim Küchendienst ihre Taschen mit Grieß vollgestopft hatten. Es brachte ihm die Vergünstigung, nicht an der Trasse, nicht im Wald und nicht in den Sümpfen schuften zu müssen, sondern nur im Lagerdienst. Er war verantwortlich für die Sauberkeit der Barackengassen und des Appellplatzes. Er pflegte auch den Blumengarten von Kommandant Rassim und sorgte dafür, daß der Genosse Oberstleutnant immer frische Blüten in seiner Keramikvase stehen hatte. Eine Vase übrigens, die ein Häftling, ein Bildhauer, geformt hatte. Aber diesmal, beim Verhör durch Jachjajew, war es anders: Schimanskow wußte nichts von Hühnchen im Lager. Grandios überstand er jede Fangfrage, auch als Jachjajew ihn anschrie:
    »Jetzt bist du erkannt, man hat dich gesehen. Hinter der Wäscherei hast du ein knackiges Hühnerbrüstchen gefressen. Leugne nicht … sag die Wahrheit! Ich weiß alles!«
    Der gute Schimanskow verdrehte die Augen zur Decke, spreizte die Finger und schrie: »Tot umfallen will ich, wenn ich ein Hühnerbrüstchen gefressen habe!« Er konnte das ohne Furcht sagen, denn es war ein Hühnerbein gewesen, das ihm der Chirurg Fomin mit den Worten überreicht hatte: »Iß … damit sitzt auch dein Kopf locker!« Und Lew Porfiriowitsch hatte das Hühnerbein vertilgt, weil ihn genauso wie alle anderen der Hunger quälte.
    Jachjajew verhörte ihn lange und gründlich, drohte alle Strafen an – aber er kam bei ihm nicht weiter. Bei drei anderen Kriminellen war es auch nicht viel besser. Eine Mauer des Schweigens, die sich nicht einreißen ließ.
    Verständlich, daß Jachjajew nun mißmutig über den peinlich genau angefertigten Protokollen hockte und den Zeiten nachtrauerte, wo man einen Mann wie Schimanskow so lange über einem Bock mit einer Lederpeitsche befragen konnte, bis er alles, was man von ihm erfahren wollte, hinausjubelte. Noch zu Stalins Zeiten war das möglich gewesen – jetzt waren solche Verhöre verboten.
    »Ah, Victor Juwanowitsch!« rief Jachjajew, als Abukow eintrat. »Ein Lichtblick in einem beschissenen Leben!« Sein Auge fiel auf das Paket in Abukows Hand. »Sie waren in Tjumen?«
    Abukow hob das Päckchen hoch. »Das Kleidchen für Novella Dimitrowna. Größe 36. Ein entzückendes Kleidchen. Das neueste Modell. Raffinierter Schnitt. Eine Schaufensterpuppe hatte es an. Schon bei diesem Anblick konnte man wild werden. Die Tichonowa wird Ihnen um den Hals fallen, Mikola Victorowitsch, und ihr Bettchen aufdecken!«
    »Sie sind ein echter Freund, ich wußte es!« sagte Jachjajew genau wie Smerdow in Surgut und sprang auf, kam mit ausgestreckten Händen auf Abukow zu und nahm das Paket in Empfang. »Was haben Sie ausgelegt, mein Lieber?«
    »Betrachten Sie es als einen Beitrag zu unserer Freundschaft«, sagte Abukow und lächelte so vertraut, als habe man gemeinsam eine Bank ausgeraubt. »Heute abend, sobald es dunkel genug ist, stifte ich auch noch sechs Tafeln Schokolade, einen großen Rinderbraten und ein Kilo Fett. Außerdem habe ich Ihnen einen neuen Fotoband mitgebracht, von der Revolution bis heute. Ein hervorragender Band für Ihre politischen Lehrstunden im Lager.«
    »Ein wahrer Schatz sind Sie, Abukow!« rief Jachjajew enthusiastisch. Er drückte das Paket mit dem Kleidchen an sich und sah Abukow mit hervorquellenden Augen an.

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