Ein Kreuz in Sibirien
»Glauben Sie, daß Novella Dimitrowna dieses Geschenk honoriert?«
»Wenn sie nicht aus Stein ist – ohne Zweifel. Bestehen Sie darauf, daß sie das Kleid sofort anprobiert, dann haben Sie sie ausgezogen vor sich!«
»Eine phänomenale Idee. Wie kann ein Mensch wie Sie nur ein einfacher Lastwagenfahrer sein? Ein Jammer ist das. Solch ein kluger Mensch! Warum hat bis heute keiner Ihre Fähigkeiten entdeckt?«
»Kann sein, das Schicksal hat gewartet, bis ich Ihnen begegne, Mikola Victorowitsch. Sie können viel für mich tun …«
»Ich?« Jachjajew war ein wenig verwirrt. »Wie denn?«
»Sie fördern die Künste – das Theater – und damit mich … Ich glaube, ich könnte ein großer Schauspieler und Regisseur werden …«
»Sie haben in Tjumen etwas erreicht, Abukow?«
»Vieles, Genosse. Der Gründung des Theaters steht nichts mehr im Wege. Es heißt amtlich ›Theater Die Morgenröte‹. Eine Gewerkschaft der Künstler ist bereits gegründet. Alle Papiere habe ich bei mir …«
»Ein Teufelskerl sind Sie.«
»Es gibt nur zwei Klippen im sonst ruhigen Wasser: Sie und Kommandant Rassim.«
»Ich nicht!« Jachjajew winkte betont jovial ab. »Mein lieber Victor Juwanowitsch, unsere Freundschaft soll nicht zerbrechen an einem Plan, den ich – gestehen wir es frei – für Unsinn halte. ›Theater Die Morgenröte‹ in einem Straflager. Mit Sträflingen als Akteuren. Aber wenn Tjumen es fördert … die Genossen an der Spitze haben den besseren Überblick. Ich bin keine Klippe, Abukow – nicht bei Ihnen. – Trinken wir jetzt einen Kognak!«
Eine Stunde blieb Abukow bei Jachjajew, dann ging er auf die andere Seite der Kommandantur und klopfte bei Rassim an.
»Keine Störung!« brüllte Rassim von innen. »Nur wenn Moskau brennt!«
Abukow klinkte die Tür auf und trat ein. Rassim saß mit Leutnant Sotow am Schachbrett und blitzte ihn mit feuerspuckenden Augen an. »Zwar brennt Moskau nicht«, sagte Abukow unbeeindruckt, »aber ich bringe andere gute Nachrichten aus Tjumen.«
Rassim lachte dunkel. Das waren Reden, die ihm gefielen. Er winkte Sotow zu und scheuchte ihn damit weg wie eine lästige Mücke. Mit einem dunklen, mörderischen Blick auf Abukow verließ Sotow schnell den Raum.
»Kommen Sie näher, Victor Juwanowitsch«, sagte Rassim und lehnte sich zurück. »Was klemmen Sie da unter den Arm?«
»Einen Gruß aus Tjumen. Ein Kilo beste Pralinen und eine Flasche Bananenlikör aus Kuba. Für Sie, Genosse Kommandant.«
Er legte das Paket auf den kleinen Tisch vor dem Sofa und wartete. Aber Rassim schwieg. Er sagte, im Gegensatz zu Jachjajew, nicht danke, er zeigte keinerlei Freude – er blickte Abukow nur schweigend an, zeigte dann auf den von Sotow freigemachten Stuhl und kippte aus seiner weit zurückgelehnten Haltung wieder nach vorn.
Abukow setzte sich gehorsam und blickte über das Schachbrett. Rassim räusperte sich. »Spielen wir, Victor Juwanowitsch, Sie Satan!«
»Wieso Satan, Genosse Kommandant?«
»Wie ein listiger Teufel kommen Sie daher und wollen mich bestechen. Bei Süßigkeiten bin ich sterblich … das wissen Sie natürlich!«
»Ich weiß es«, sagte Abukow ehrlich. Bei Rassim hatte es keinen Sinn, die Rolle des Freundes wie bei Jachjajew zu spielen. Rassim war immer ein Gegner und blieb es, auch wenn man sein Blutsbruder wurde.
»Was wollen Sie von mir?«
»In drei Zügen sind Sie matt, Rassul Sulejmanowitsch.«
»Zum Kotzen ist es! Ich glaube es Ihnen! Mit Ihnen zu spielen, das ist, als ob man Schläge in den Magen bekommt.« Mit einer Handbewegung fegte Rassim die Schachfiguren vom Brett weg zur Seite. Wenn ein Russe so etwas tut, muß er wirklich erschüttert sein. Vier Dinge sind's, die im Leben eines Russen eine bevorzugte Rolle spielen: sein Heimatgefühl, sein Magen, das Schachbrett und das Billardspiel. Ist er mit allen vieren zufrieden, ist sein Leben glücklich zu nennen. »Abukow, was haben Sie in Tjumen gehört? Geht ein Flüstern über mein Lager herum?«
»In Tjumen kennt man JaZ 451/1 nur bei den damit beschäftigten Behörden. Nichts hört man sonst.«
»Aber in Surgut …«
»Man spricht über den Tod von Ilja Kriwow. Leutnant Sotow soll ihn erschossen haben, weil er ihn auf einer Frau angetroffen hat.«
»Lüge! Alles Lüge! Kriwow fiel in einem Anfall von Irrsinn den Leutnant an – es war absolute Notwehr. Wir haben Zeugen: Chefingenieur Morosow und die Genossin Chefärztin Tschakowskaja.«
»Wenn dem so ist«, sagte Abukow verhalten, »sollten Sie
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