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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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keine Sorgen haben, Genosse Kommandant. Vor allem das Zeugnis von Larissa Dawidowna hat großes Gewicht.« Er richtete sich im Sitzen auf, als nehme er vor Rassim Haltung an. Rassim starrte ihn fragend an. »Betrachten Sie mich, Rassul Sulejmanowitsch.«
    »Ist getan! So schön sind Sie wiederum nicht … Was soll's?«
    »Vor Ihnen sitzt das neue ›Theater Die Morgenröte‹. Der Vorsitzende der neuen Gewerkschaft gleichen Namens.«
    »Sie haben es also erreicht. Ein Jammer, daß Sie kein Häftling sind – mit Ihrem Kopf würde ich im Winter das Eis auframmen! Abukow, ich stehe zu meinem Wort. Aber ich stehe auch zu meinem Wort, daß ich Sie mit Peitschen wegjagen lasse, wenn Ihr dämliches Theater die Ordnung in meinem Lager stört … Schließen wir diesen Privatpakt?«
    »Wir schließen ihn.«
    Sie reichten sich die Hand über den Tisch. Rassims Händedruck – er war ja ein Bulle von einem Kerl – war so hart, daß Abukow glaubte, er habe ihm das Blut abgedrückt, als er seine Hand wieder frei bekam. Unter dem Tisch schüttelte er sie, um das plötzliche Gefühl der Lähmung loszuwerden. Rassim grinste.
    »Und nun holen Sie die Pralinen, Victor Juwanowitsch! Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ist auch Nougat dabei?«
    »Viel Nougat und Marzipan … Und Rumtrüffel …«
    »Ein Satan, sag ich es doch!« Der Kommandant sah Abukow zu, wie er das Paket holte und die dicke Pralinenschachtel auspackte. Der Anblick der verführerisch auf Goldgrund sortierten Pralinen ließ seine Augen leuchten. Alle Härte verloren sie plötzlich, der sonst gnadenlose Blick wurde geradezu kindlich. »Nur zwei bekommen Sie, Victor Juwanowitsch! Nur zwei! Und ein Gläschen Bananenlikör. Aber wenn Sie glauben, mich damit bestochen zu haben, bauen Sie auf sumpfigen Grund. Mit Peitschen lasse ich Sie fortjagen …«
    »So soll es sein, Genosse Kommandant!«
    Abukow reichte ihm die Schachtel, und Rassim nahm drei Pralinen und steckte sie alle drei auf einmal in den Mund. Noch nie hatte Abukow ein solch verklärtes Gesicht gesehen, und plötzlich fragte er sich, wer der echte Rassim sei: der unerbittliche Eisenfresser oder der kindliche Mensch, der jetzt schmatzte und wieder in die Pralinen griff.
    Im Geräteraum erhielt Professor Polewoi von Mustai die Nachricht, daß Abukow die Gemeinde in der Nacht im Versammlungsraum, der Tischlerwerkstatt, sehen wolle.
    »Ich will's den anderen berichten«, sagte Polewoi zögernd. »Doch ob sie kommen? Alles hat sich geändert. Die Angst kriecht durch alle Ritzen. Soll etwa Larissa auch kommen?«
    »Alle, hat Victor Juwanowitsch gesagt. Alle Christen …«
    »Wer soll ihr das mitteilen?«
    »Du!«
    »Hinaus wirft sie mich! Niemand kann mehr mit ihr reden!«
    »Victor Juwanowitsch wird es können.«
    »Dann soll er es ihr auch selber sagen.«
    Doch Abukow machte einen dritten Umweg, bevor er Larissa Dawidowna aufsuchte: Er ging zu Dr. Owanessjan. Dshuban Kasbekowitsch saß in seinem Arbeitszimmer vor einer kleinen Leuchtwand aus Milchglas und betrachtete ein Röntgenbild. Seit eindreiviertel Jahren besaß das Hospital eine bescheidene Röntgenanlage, einen einfachen Apparat eines total veralteten Musters, das von irgendeiner Stadtklinik abmontiert worden war und an das Lagerhospital weitergereicht wurde. Für Dshuban war es eine unersetzbare Hilfe, für die Häftlinge ein großer Fortschritt in der Krankenversorgung des Lagers – denn jetzt konnte niemand mehr behaupten, daß ein trockener Husten vom mörderischen Rauchen getrockneter Farnkräuter herrührte, wenn auf dem Röntgenbild klar zu erkennen war, daß der Arme wirklich eine Tuberkulose hatte. Die einzige Schwierigkeit lag darin, daß Dshuban nicht genug Röntgenplatten-Negative erhielt, denn natürlich klappte der Nachschub nicht. In Swerdlowsk, von der Zentralkrankenhausverwaltung Westsibirien, gingen zwar die Röntgenplatten per Post nach Tjumen ab, aber dort verschwanden sie auf geheimnisvolle Weise. Nur wenige Platten kamen bis Surgut, und von den wenigen erreichte nicht mehr als ein armseliges flaches Päckchen das Hospital von JaZ 451/1. Zum Teil lag dies daran, daß auch das Musterlazarett des Frauenlagers Tetu-Marmontoyai einen Röntgenapparat besaß und Kommandant Kabulbekow sich selbst um den Nachschub kümmerte und den Genossen in Tjumen das Leben schwermachte, wenn eine Lieferung ausblieb oder sich verzögerte.
    Dr. Owanessjan drehte sich um, als Abukow eintrat, und sofort glänzten seine Augen.
    »Du bist wieder da?« sagte

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