Ein Kreuz in Sibirien
Lippen, dieses geliebte Gesicht, das immer gegenwärtig gewesen war, wenn sie die Augen schloß … es war in ihren Händen von Gold umrahmt; an ihrer Brust konnte sie es tragen, es würde immer bei ihr sein …
Sie schloß die Augen, ließ sich nach hinten sinken, er fing sie auf, schlang die Arme um sie und hielt sie fest. Sie spürte seine Hände auf ihren Brüsten, sein Atem wehte über sie, betäubend war das, unerklärlich schön und von einer befreienden Schwerelosigkeit. Ihre Hände hoben das Medaillon zum Mund, sie biß darauf, ihre Zähne schlugen in das Gold. Und während Abukow sie zum Bett trug und ihren Hals, die Schläfen, die Stirn und ihre Augen küßte, weinte sie vor Glück und Erlösung und behielt das Medaillon zwischen ihren Zähnen auch dann noch, als ihre völlige Hingabe ihren Leib zerbarst.
Stunden später saß Abukow allein auf dem Sofa, hatte den Kopf zwischen seine Hände genommen und starrte in die Dunkelheit. Larissa Dawidowna schlief nebenan in einer fast ohnmächtigen Seligkeit.
Mein Gott, dachte er, was habe ich getan? Mein Gott, verzeih mir. Verzeih die Schwachheit eines Menschen … es war doch so schön – so himmelweit schön …
Irgendwann in der Nacht wachte Larissa Dawidowna auf, und als sei es selbstverständlich und nie anders gewesen, tastete sie zur Seite, um Abukow zu fühlen. Aber der Platz neben ihr war leer. Sie fand den Geliebten im Wohnzimmer. Noch immer saß er auf dem Sofa, aber auch er schlief jetzt, den Kopf weit zurück an die Lehne gedrückt, die Hände auf den Sitzpolstern, als habe er sich hochstemmen wollen, aber dazu nicht mehr die Kraft gehabt.
Eine Weile sah sie ihn schweigend an. Sein nackter Oberkörper glänzte, eine heiße Nacht war es, denn Wald und Sümpfe hatten die Hitze des Tages gestaut und gaben sie jetzt frei wie ein ausstrahlender Backofen. Aus dem Haaransatz rann ihm der Schweiß in winzigen Rinnsalen über das Gesicht, aber er schlief fest. Nur ab und zu flimmerte ein leichtes Zucken über seinen Körper, als seien die Nerven noch nicht völlig zur Ruhe gekommen.
Die Tschakowskaja setzte sich vorsichtig neben ihn, um ihn nicht zu wecken, zog das kurze baumwollene Nachthemd über den Kopf und tupfte ihm damit den Schweiß von Brust und Gesicht. Er dehnte sich etwas unter dieser Berührung, sofort hörte sie auf.
Doch er schlief weiter, rutschte nur etwas tiefer und kam dadurch in eine Lage, die unbequem sein mußte, vor allem für seinen Nacken.
Ganz langsam, ganz zärtlich umfaßte sie seine Schultern, drehte ihn zur Seite, brachte ihn in eine liegende Stellung, hob seine Beine auf das Sofa, setzte sich dann wieder, hob seinen Kopf und bettete ihn in ihren Schoß. Abukow schlief weiter, er seufzte nur einmal auf, befeuchtete mit der Zunge seine trockenen Lippen, streckte sich und schob seinen Kopf vollends zwischen ihre Schenkel.
Bewegungslos saß sie da, betrachtete ihn, streichelte sein Gesicht und seine Brust, legte ihre Hand auf sein Herz und spürte beglückt den gleichmäßigen Schlag und das Pulsieren seines Blutes. Mein bist du, dachte sie dabei. Ganz mein. Niemand kann dich mir mehr wegnehmen … die Menschen nicht, dein Glaube nicht, Sibirien nicht – nur der Tod. Und gemeinsam werden wir sterben, wenn es sein muß. Ein Körper sind wir geworden, eine Seele, ein Gedanke, ein Schicksal. O Victor Juwanowitsch, eine Liebe ist es ohne Beispiel …
Nach einer Stunde etwa zuckte Abukow zusammen, sein Atem wurde lauter, er schlug die Augen auf, sah und fühlte die Geliebte und spürte die Hand, die auf seinem Herzen lag.
»Larissanka …«, sagte er leise. »O laß diese Nacht nie zu Ende gehen …« Er hob den Kopf, küßte ihre Brust, ließ sich dann zurück in ihren Schoß sinken und war von einem unbeschreiblichen Glück erfüllt. »Wie lange liege ich schon hier?«
»Es gibt keine Stunden mehr, Victorenka …« Sie küßte seinen Mund, trocknete mit ihrem dünnen Nachthemd den Schweiß von seinem Gesicht und seiner Brust und seufzte, als er den Kopf drehte und die Innenseite ihres Schenkels küßte.
»Ich … ich habe ein Gelübde gebrochen«, sagte er leise, »aber ich fühle mich wie eine Lerche, die der Sonne entgegenfliegt. Ist das nicht schrecklich?«
»Wir haben nichts zu bereuen, mein Liebling. Nichts zu bereuen! Wenn Gott dich der Liebe wegen verflucht, ist er ein böser Gott. Dann sollte man ihn vergessen.«
»O Himmel! Sprich so etwas nicht aus, Larissa …«
»Unter die Sonne werde ich mich stellen und
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