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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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völlig verändert. Kein Wort von uns erreicht sie mehr.«
    »Gott hat den Menschen erschaffen mit allen Vorzügen und allen Fehlern«, sagte Abukow. »Man muß es hinnehmen. Ob Freude oder Leid – alles gehört zum Leben.« Er stockte und holte tief Luft: »Auch die Sünde! Was hätte Gott sonst zu verzeihen?«
    Mit einem Ruck wandte er sich ab, ließ den verblüfften Polewoi stehen und ging mit langen Schritten zur Wohnung der Tschakowskaja.
    Larissa saß im Wohnzimmer auf ihrem Sofa und hatte sich immer und immer wieder gefragt: Kommt Abukow zu mir – oder kommt er nicht? Was soll ich tun, wenn er mich einfach ignoriert, bei Gribow oder Mustai bleibt, mit ihnen ißt, mit ihnen trinkt und ohne die geringste Gewissensqual in irgendeinem Bett ruhig schläft? Wenn er mir durch sein Fernbleiben zeigt, wie unwichtig ich für ihn bin, wie groß sein Ekel vor mir ist nach alldem, was ich ihm angetan habe? Was soll ich dann tun?
    Sie fand keine Antwort darauf. Sie spürte nur, daß sich an ihrem leidenschaftlichen Gefühl, an ihrer Liebe nichts geändert hatte und daß jede Minute ohne Abukow die Sehnsucht nur noch größer machte.
    Als es an der Tür klopfte, erstarrte sie. Dies war nicht das demütige Klopfen von Polewoi, das mehr einem Hundekratzen glich. Es war auch nicht Rassims Faust – der Kommandant klopfte nur mit den Fäusten –, nein, es war ein zartes Klopfen von gespannten Handknöcheln.
    Sie verhielt sich still, gab keinen Ton von sich und preßte die Hände zwischen ihre Knie. Wenn er es ist, o Himmel, wenn er es ist … sie fühlte sich wie in einem luftleeren Raum.
    Abukow trat ein, nachdem er von innen keinen Zuruf gehört hatte, machte hinter sich die Tür zu und blieb am Eingang stehen. Stumm sahen beide sich an, und ebenso wortlos drehte sich Abukow noch mal um und schloß die Tür ab. Die Tschakowskaja zuckte zusammen, aber als er sich ihr wieder zuwandte, saß sie ebenso steif da wie vorher.
    »So ist das nun«, sagte Abukow, kam zum Sofa und stellte sich vor sie. Die Tschakowskaja hob den Kopf, sah ihn an; ihr Gesicht war schmaler geworden in der einen Woche, knochiger, auf eine betörend schöne Art asiatischer und geheimnisvoller.
    »Wenn du mich schlagen willst …«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Sogar die Stimme war anders, klang tiefer, nicht mehr so hell und mädchenhaft.
    »Warum sollte ich dich schlagen?« Abukow schüttelte den Kopf. »Nie würde ich eine Frau schlagen.«
    »Was willst du hier? Warum quälst du mich? Ich habe es wahr gemacht. Ich habe sie alle in die Wälder und Sümpfe gejagt. Alle!«
    »Ich weiß. Und du hast dafür gesorgt, daß sie sich mit Chefingenieur Morosows Hilfe, fern von Kommandant Rassim, an der Trasse ausruhen konnten. Und daß sie im Lager die anderthalbfache Portion Essen bekamen. Sotows Mord ist nicht deine Schuld. Erfahren habe ich, daß du eine Meldung darüber nach Moskau geschickt hast; in Tjumen liegt sie jetzt und bleibt auch da liegen.«
    »Das werde ich ändern!« rief Larissa. »Meinen Brief unterschlagen sie? Ist das wahr? Sie halten meine Meldung fest?«
    »Du hast der christlichen Gemeinde im Frauenlager mitgeteilt, daß ich gekommen bin«, fuhr Abukow ruhig fort. »Du bist an die Erdgasleitung gefahren, um Morosow zu bitten, die Schwachen am Waldrand ruhen zu lassen. Vielen hat dies das Leben gerettet. Aber nur wenige begreifen das.«
    »Du siehst das falsch, völlig falsch«, sagte sie hart, stand auf, drehte ihm den Rücken zu und blickte aus dem Fenster. Aber sie sah nichts; sie blickte in die Weite, ins Leere. »Ich habe sie hinausgejagt, weil ich sie hasse. Euch alle hasse!«
    Abukow trat hinter sie. So nahe kam er heran, daß sie seinen Atem in ihrem Nacken spürte. Ihre Nackenhaare sträubten sich, ein Frieren lief durch ihren Körper.
    »Man muß es so hinnehmen«, sagte Abukow langsam. Er griff in die Tasche, holte das goldene Medaillon, das er in Tjumen gekauft hatte, heraus und hielt es ihr über der Schulter vor die Augen.
    »Was ist das?« fragte sie.
    »Für dich habe ich es gekauft.«
    »Ein Medaillon?«
    »Ja.«
    »Man kann es aufklappen?«
    »Ja.«
    »Und wenn man es aufklappt, ist ein Kreuz darin! – Ich will kein Kreuz mehr.« Und plötzlich schrie sie und ballte die Fäuste: »Ich hasse auch das Kreuz!«
    Sie riß Abukow das Medaillon aus der Hand, wollte es gegen die Wand werfen – aber dann nahm sie es mit beiden Händen, öffnete den goldenen Deckel, sah Abukows Bild, seine lachenden Augen, seine lächelnden

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