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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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brenne das Gewissen glühende Brandzeichen in seine Seele. Nur noch an Larissa konnte er denken, an ihren Körper, das Hineinsinken in ihren Schoß und an den befreienden Aufschrei, der die Sterne zu erreichen schien. Nichts anderes gab es mehr. Es war eine höllische Qual, die ihn erdrückte: Du bist gekommen als Diener Gottes zu den Ärmsten der Armen, zu den toten Seelen in Sibirien – und jetzt ist der Geist wieder in Fleisch verwandelt, läßt du dich von der Wollust versklaven. Welch ein Verfall, Victor Juwanowitsch ! Welch ein Verrat, Pater Stephanus Olrik von der Kongregation vom Heiligen Kreuz in Rom! Wie soll Gott dir das jemals verzeihen?
    Er blieb noch eine Weile in der hellen, warmen Nacht stehen. Hörte hinter sich in der Autohalle das Hämmern und Sägen der Schreiner und die schrille Stimme des Schmieds Sakmatow , der grundsätzlich mit jedem Streit anfing, weil er alles besser wissen wollte. Sah, wie hinter dem Fenster von Mustai s Zimmer das Licht erlosch und von der Kommandantur der ablösende wachhabende Offizier hinüber zum Wachhaus am großen Einfahrtstor ging. Und sah die Genossin Strepkowa – im Range eines Unterleutnants in der Funkstelle beschäftigt, eine der neun Frauen im Lagerbezirk –, wie sie ein paar Steinchen an das Fenster von Jachjajews Wohnung in der Kommandantur warf und dann durch einen Nebeneingang verschwand. Es war erstaunlich, daß ein so qualliger Mensch wie Jachjajew viele Frauen nicht abstieß, sondern anzog. Was mochte es sein, das ihn begehrenswert machte?
    Endlich ging Abukow langsam hinüber zum Hospital, trat ein. Larissa erwartete ihn bereits. Sie hatte den Tisch gedeckt. Mit einer gehäkelten Spitzendecke. Mit weißem Porzellan, auf das man kleine Rosenknospen gemalt hatte. Mit einem Strauß Wiesenblumen in einer tönernen Vase. Und mit zwei angezündeten Kerzen in gläsernen Kerzenständern. Das Überwältigendste aber war sie selbst: Auf dem bloßen Körper trug sie ein dünnes, seidenes, bodenlanges kirgisisches Gewand, das sich an sie schmiegte, als streichle der Stoff sie. Ein Anblick war es, der fast den Herzschlag lähmte.
    Abukow zog seinen schwarzen Rock aus und knöpfte das weiße Hemd auf.
    »Wie spät kommst du, mein Liebling«, sagte sie. Der Klang ihrer Stimme überrieselte seinen Rücken wie eine Gänsehaut. Für einen Moment schloß er die Augen, um dieser Stimme nachzulauschen, als bliebe sie im Raum und schwebte um ihn herum.
    »Nun bin ich da«, antwortete er leise. »So … so feierlich hast du alles gemacht …«
    »Ist es nicht ein Feiertag? Dein erster Gottesdienst, deine erste Predigt im Lager. Dazu noch im Beisein von Rassim und Jachjajew . Das war ein einmaliger Tag. Du bist für mich der mutigste Mensch auf dieser Erde.«
    »Und der elendeste zugleich.« Er drehte sich um, sie stand ganz nahe bei ihm, das Feuer ihrer schwarzen Augen verbrannte all seine Reue, er riß sie in seine Arme, küßte sie, schmeckte ihre Lippen, fühlte ihre Haut unter dem Hauch von Seide und spürte eine neue Kraft, die von ihr auf ihn überfloß. »O Larissa, Larissanka … wie schön ist das Leben …«
    Eine lange Zeit standen sie eng umschlungen, als könnten sie zu einem einzigen Körper werden in ihrer Sehnsucht nach totaler Verschmelzung. Als sie sich endlich wieder voneinander lösten, war noch die Betäubung des Glücks in ihnen.
    »Komm«, sagte sie, »ich habe etwas für dich.« Sie ging zu dem Sofa, und jetzt erst sah Abukow , daß dort ein Gegenstück zu ihrem Kleid lag: ein seidener Mantel aus Kirgisien mit einem breiten, goldbestickten Gürtel. Sie hob ihn hoch und breitete ihn aus. »Ist er nicht wunderbar?«
    »Ja, das ist er!« Abukow griff nach dem Seidenmantel. »Woher hast du ihn?«
    »Wer hat wohl nur solche Dinge, mein Liebling?«
    » Dshuban Kasbekowitsch .«
    »Für teures Geld habe ich ihm das Stück abgekauft. Nicht hergeben wollte er es, hat es noch nicht getragen. Aber als ich ihm sagte, es sei für dich bestimmt, war er sofort einverstanden – unter einer Bedingung: Er will dich einmal in diesem Seidenmantel sehen!« Sie lachte hell und glücklich. »Wenn es ihn fröhlich macht, Victor …« Sie küßte ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Zieh es an, schnell, ganz schnell – auf die blanke Haut! Ich hole inzwischen unser Essen aus dem Ofen.«
    Abukow nickte, nahm den Seidenmantel über den Arm, ging in das Schlafzimmer, legte seine Kleidung ab, zog sich aus bis auf die Haut und streifte den kirgisischen Mantel über. Bevor er

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