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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mehr, als er erwartet hatte. Was ihm aber noch unbekannt war, aber das erfuhr er sehr schnell und sehr massiv: das Mißtrauen gegenüber staatlichen Bezugsscheinen bei den Händlern, bei denen er in den nächsten beiden Tagen vorsprach.
    Man muß das verstehen, Genossen. Da stellt eine amtliche Stelle einen Berechtigungsschein aus, auf dem steht: Gültig für den Kauf einer Violine. Der Bezugsschein ist der staatlichen Planungskontrolle einzureichen zusammen mit einer vom Käufer unterschriebenen Empfangsbescheinigung. – Das hört sich gut und vernünftig an. Aber wenn der Staat etwas bezahlen soll, und sei es auch gegen einen Gutschein, sitzen da wieder einige Kompanien Beamte, die beschäftigt sein wollen. Nun kann es vorkommen, daß die Geige nach vier Monaten wirklich bezahlt wird – dann darf man fröhlich in die Hände klatschen und ein Liedchen singen. Es kann aber auch sein, daß man noch etliche Formulare ausfüllen muß, um die Aktendeckel zu füllen. Und wenn man ganz großes Pech hat, verschwindet auf dem Weg durch die Beamtenzimmer irgendwo der Bezugsschein. Dann ist es schwer nachzuweisen, daß man wirklich eine Geige geliefert hat. Ohne Schein keine Rubel – das leuchtet jedem ein, der auf Ordnung hält. Wen wundert es, daß Abukow schon im ersten Musikaliengeschäft freudig begrüßt und umworben wurde, als er zwei schöne erste Geigen aussuchte – dann aber, als er seine Bezugsscheine auf die Theke legte, folgendes erlebte:
    Der Geschäftsinhaber, ein Künstlertyp mit wallender brauner Mähne, holte erst einmal tief Luft, wölbte die Lippen, als wolle er Abukow anspucken, sagte dann aber doch mit menschlicher Stimme: »Genosse, das sind die teuersten Violinen im Laden! Ich kenne das, das gibt Schwierigkeiten, wenn ich die Rechnungen einreiche. Kein Beamter sieht ein, warum man auf einer 200-Rubel-Geige spielen soll, wenn es welche für 50 Rubel gibt. Und was haben Sie ausgesucht? Zwei Geigen zu je 700 Rubel! Man wird mich hinauswerfen, wenn ich damit komme. Hängen Sie sofort die Geigen wieder an den Haken!«
    »Es kommt auf den Klang an, Genosse«, sagte Abukow .
    »Nein, es kommt auf mein Geld an!« schrie der Musikalienhändler und rollte mit den Augen. »Wenn Sie bar bezahlen – bitte, ich habe eine Geige für 1.500 Rubel im Hinterstübchen. Aber gegen Bezugsschein? Ich lebe nicht von den Schimpfworten der Beamten! Schließen wir einen Pakt: Dort hängen wunderschöne Geigen für 75 Rubel. Bei einem guten Geiger klingen sie wie eine Stradivari. Wollen Sie selbst spielen? Probieren Sie! Sie liegt Ihnen am Hals wie eine Geliebte! Auch eine Geliebte reagiert um so schöner, je zärtlicher man sie behandelt.«
    Abukow handelte zwei Stunden um zwei Geigen für 100 Rubel. Das Chaos aber wurde vollkommen, als er die Bezugsscheine für eine Flöte, eine Trompete und eine Handharmonika vorlegte. Der Musikalienhändler mußte sich setzen, seine Beine wurden kraftlos. Schweiß trat auf seine Stirn und rann zu seinen zuckenden Lippen.
    »Warum ruinieren Sie mich, Genosse?« fragte er müde. »Einen so guten Eindruck machen Sie – und vernichten meine Familie. Woher kommen Sie? Wieso gibt man Ihnen diese Bezugsscheine? Außerdem habe ich keine Trompete auf Lager.«
    »Sie sagen Lager, Genosse.« Abukow lehnte sich gegen die Theke und wußte genau, daß mindestens eine Trompete in den hinteren Räumen verborgen war. »Genau das ist es. Aus einem Lager komme ich. Und für ein Lagerorchester suche ich die schönen Dinge.«
    Der Musikalienhändler wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ ein dumpfes Stöhnen hören. »Was für ein Lager?«
    »Ein Straflager an der Erdgasleitung bei Surgut. Über zweitausend Männer und Frauen warten darauf, daß ein wenig Musik ihr trostloses Leben aufheitert.«
    »Und dafür bekommen Sie Bezugsscheine?«
    »Sie sehen es.«
    »Für ein Arbeitslager in der Taiga? Oh, wie unverschämt Sie lügen, Genosse. Als wenn man den Verdammten ein Orchester gönnen würde! Das können Sie einem Blöden erzählen, der einen Ochsen melken will.« Er musterte Abukow geradezu ekelerregend und wölbte wieder die Lippen, als wolle er spucken. »Wieso kommen Sie da als Zivilist? Die Lager unterstehen dem Militär, dem KGB, was weiß ich. Aber nie einem Zivilisten! Erklären Sie mir nur noch, Sie seien selbst ein Strafgefangener, der Ausgang hat zum Instrumenteeinkaufen . Dann lache ich mir die Lunge heraus und falle vom Stuhl.«
    »Ich bin Fahrer der Transportbrigade von Surgut und

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